Der Endowment-Effekt wird bei einem Kandidaten dargestellt: er steht selbstbewusst auf einem Sockel, seinem Ego. Drei Hände zeigen mit dem Daumen nach unten. Er wird also abgelehnt.

Der Endowment-Effekt in den Human Resources betrifft vorwiegend das Recruiting, weil es einen Besitzwechsel, nämlich einen Stellenwechsel, anstrebt. Indem der Stellenwechsler seinen aktuellen Arbeitsplatz mit dem aus dem Stellenangebot vergleicht, nimmt er eine Einschätzung seines Besitzes vor. Deshalb kommt der Endowment-Effekt in den Human Resources beim Stellenwechsel besonders häufig vor.

Der Endowment-Effekt

Der Endowment- Effekt wurde von dem Verhaltensökonomen Richard Thaler entdeckt. Er gehört zu seinen vielen Beobachtungen, in denen er die Irrationalität des angeblich rational handelnden Homo oeconomicus festgestellt hat. 2017 hat er dafür den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten.

Beispiel Wein

Aus der Zahl seiner Beispiele, an denen Thaler den Endowment-Effekt erläutert, sei das Beispiel Wein herausgegriffen.

Der Ablauf

Ein  Professor für Wirtschaftswissenschaften, ein ausgewiesener Weinkenner, hatte vor Jahren viele Regale mit Flaschen guten Tropfens bestückt. Er hatte sie zum Preis von 10 $ das Stück gekauft. Seine „gute Nase“ wurde später dadurch bestätigt, dass ein Weingroßhändler ihm den Bestand oder wenigstens einen Teil davon für100 $ pro Flasche abkaufen wollte. Der Ökonom lehnte das lukrative Angebot ab.

Das Geschäft

Das Geschäft sah für den Weinkenner einen Umsatz von 100 $ pro Stück vor, von dem die Kosten des Einkaufs von je 10 $ Flasche abzuziehen waren. Aus dieser Rechnung ergab sich ein Gewinn von 90 $ pro Stück, also das Neunfache des Einkaufspreises. Obwohl er einen lukrativen Gewinn hätte machen können, lehnte der Ökonomie-Professor das Geschäft ab.

Die Opportunitätskosten

Da der Weinkenner hauptberuflich Ökonom war, konnten ihm die Opportunitätskosten nicht fremd sein. Opportunitätskosten sind gedachte Kosten, die bei einem Verzicht entstehen. Im Beispiel betragen sie 90 $, wenn der Weinkenner eine Flasche austrinkt; denn hätte er sie an den Interessenten verkauft, hätte er diesen Betrag als Gewinn verbuchen können. Auch die Opportunitätskosten konnten den Ökonomie-Professor von seinem abschlägigen Bescheid nicht abbringen.

Der Endowment-Effekt im Beispiel Wein

In diesem Beispiel stehen sich zwei Zahlen, nämlich 10 und 100, gegenüber. Die 10 steht für den Einkauf und die 100 für den Verkauf  je Flasche. Durch $ ergänzt, wird daraus eine Kennzahl für den Wert des Besitzes. Der Unterschied aus Sicht des Weinkenners besteht darin, dass er für den tatsächlichen Besitz bereits 10 $ ausgegeben hat; den Besitz der 100 $ erhält er aber erst, wenn er eine Flasche verkauft hat. Die 100 $ sind also der potenzielle Besitz.

Dadurch, dass der Weinkenner  seine Flaschen nicht verkauft, schätzt er die 10 $ je Stück höher als die erzielbaren 100 $ pro Flasche ein. Sein Verhalten ist der typische Fall für einen Endowment-Effekt oder für die Irrationalität in der Ökonomie.

Die Pointe

Die Pointe aus dem Beispiel ist, dass der Weinkenner im Hauptberuf  Professor der Ökonomie ist. Er lehrt nämlich den rationalen Homo oeconomicus, ohne beim Verkauf des Weines selbst so aufzutreten.

Seine Irrationalität wird dreifach sichtbar:

  1. Es werden nicht 10 $ für 100 $, sondern eine Flasche für 100 $ verkauft. Mit der Gegenüberstellung von Flasche zu Geld verliert der Ökonomie-Professor den Überblick über den Wert.
  2. Sein Verzicht hat den Wert eines Verkaufs; denn 100 $ Verkaufswert stehen 10 $ Einkaufswert und 90 $ Opportunitätskosten gegenüber. Opportunität ist aber keine Realität, so dass die ökonomischen Berechnungen der Wirklichkeit einen Streich spielen.
  3. Die Zahlung des Einkaufspreises mit eigenem Geld bewertet der Ökonom höher als die Einnahme fremden Geldes. Der Verlust von 10 $ greift tiefer in seine Psyche als der potenzielle Gewinn von 90 $ ein.

Der Endowment-Effekt ist eine reale Tatsache der irrationalen Bewertung von Besitz und schreckt auch als Endowment-Effekt in den Human Resources nicht vor dem Wechsel des Arbeitsplatzes zurück.

Endowment-Effekt in den Human Resources

Vor allem im RecruitingDer Endowment-Effekt in den Human Resources kann sich verbergen, das für alle Arten der Personalbeschaffung und der Stellenbesetzung zuständig ist. 

Einschränkungen

Der Besitz, den es einzuschätzen gilt, ist der Besitz eines Arbeitsplatzes. Damit sind allerdings Einschränkungen verbunden.

Erste Einschränkung: Arbeitsplatz

Nicht jede Besetzung einer Stelle kann für einen Endowment-Effekt in den Human Resources in Frage kommen, sondern nur eine, die mit einem Arbeitsplatzbesitzer erfolgt. Kandidaten aus der Arbeitslosigkeit, Berufsrückkehrer und Selbstständige, die eine Festanstellung vorziehen, scheiden für einen Endowment-Effekt in den Human Resources aus.

Zweite Einschränkung: Eingrenzung

Die Eingrenzung ist die zweite Einschränkung für den Endowment-Effekt in den Human Resources. Sie betrifft nämlich nicht alle Arbeitsplatzbesitzer. Nicht zur Debatte stehen alle, die bereits auf eine neue Position gewechselt sind, also gerade einen höherwertigen Arbeitsplatz erworben haben. Ihre Bewertung ist noch vom Erwerbsprozess getrübt.

Einerseits ist nicht jeder vom Endowment-Effekt befallen, der eine Stelle ablehnt oder zurückgewiesen hat. Andererseits sind die an einem Positionswechsel Interessierten nicht ausgeschlossen, die momentan nicht oder erst später zur Verfügung stehen.

Dritte Einschränkung: Präzisierung

Der Präzisierung der Eingrenzung dient die dritte Einschränkung der Arbeitsplatzbesitzer, die durch einen Endowment-Effekt in den Human Resources gefährdet sind. Sie stützt sich auf Zahlen aus der Direktansprache, die langjährige Erfahrungswerte sind.

Praxis

Für die Besetzung einer Führungsposition im mittleren Management sind 60 Personen anzusprechen. Die Zahl steigt in der Generation der work-life-balance-Befürworter leicht an, erreicht bei Spezialisten die 100 und kann in Sonderfällen sogar deutlich darüber hinausgehen.

Rechnung

Von den 60 direkt angesprochen Personen bleiben sechs Interessenten für die Besetzung der Position übrig. Davon scheiden drei nach einer Zwischenbeurteilung aus. Von den letzten drei Personen kann nur eine die Stelle besetzen. Daraus folgt, dass 90 Prozent der Angesprochenen für einen Endowment-Effekt in den Human Resources anfällig sein können.

Ergebnis

Im Ergebnis überrascht das Resultat aus der Berechnung der Praxisfälle zur Direktansprache, das auf den genannten drei Einschränkungen des Recruiting basiert. Es liefert ein Verhältnis  von 9:1 für die absagenden Arbeitsplatzbesitzer. Davon unabhängig ist, ob es sich bei den 9 Anteilen um grundsätzlich Absagende oder solche mit latentem Wechselinteresse handelt. Mit der erdrückenden Mehrheit von 90 Prozent bestätigt sich die hohe Anfälligkeit für den Endowment-Effekt in den Human Resources.

Das Recruiting

Die Aufgabe des Recruiting ist es, für die Besetzung einer Stelle mit einem passenden Kandidaten zu sorgen. Deshalb geht es nicht darum, möglichst viele Interessenten anzusprechen, sondern darum, den geeigneten Kandidaten zu finden.

Direktansprache

Der Recruiter muss in der Direktansprache eine intensive Kommunikation einsetzen. Nur so kann er möglichst viele Informationen  mit dem Angesprochenen über seine jetzige Position und den Nutzen der angebotenen Stelle austauschen.

Endowment-Effekt in den Human Resources

Ausflüchten, die auf einen Endowment-Effekt in den Human Resources hindeuten, hat der Recruiter rechtzeig zu begegnen; denn sonst wird er schon zu Beginn des Gespräches ausgebremst und kommt nicht mehr dazu zu beurteilen, ob er einen interessanten Kandidaten vor sich hat. Er verpasst so die Gelegenheit, den Angesprochenen von den Perspektiven des neuen Arbeitsplatzes  zu überzeugen (siehe auch Beraterbrief „Direktansprache durch Überzeugen“, April 2003, www.kettembeil.de).

Absagegründe für einen Stellenwechsel

Deshalb werden zur Verbesserung der Kommunikation in der Direktansprache vier Absagegründe von Arbeitsplatzbesitzern vorgestellt, die auf einen Endowment-Effekt hinweisen. Grundsätzlich gilt, dass ein im Grunde zufriedener wechselunwilliger Arbeitnehmer seriös nicht abgeworben werden kann (siehe auch „Schwarze Schafe unter den Beratern).

1. Absagegrund: Zufriedenheit

Die Zufriedenheit mit dem aktuellen Arbeitsplatz ist ein häufig gebrauchter Absagegrund für einen direkt angesprochenen Kandidaten. In der Regel ist davon auszugehen, dass der Angesprochene seine Angabe genauso meint. Dennoch lohnt es sich, den Kandidatenum eine Präzisierung seiner Zufriedenheit mit seinem Arbeitsplatz zu bitten. 

Im ersten Schritt fällt die Schilderung eher dürftig aus. Zu einer weiteren Beschreibung ermuntert, wächst seine aktuelle Stelle mit jedem ausgesprochenen Wort. Schließlich nimmt der geschilderte Arbeitsplatz eine Dimension an, die seinen Besitzer zur zentralen Figur bei seinem Arbeitgeber werden lässt. Der Endowment-Effekt ist ausgelöst.

An diesem Punkt ist ein Recruiter gefragt, der aus dieser Darstellung die „Luft herauslassen“ und die Direktansprache in realistische Bahnen lenken kann. Allerdings steht er auf verlorenem Posten, wenn der Angesprochene, von seiner Erzählung berauscht, seine Schilderung selbst zu glauben beginnt.

2. Absagegrund: Geschäftsführung

Das Argument, der Angesprochene sei bereits Geschäftsführer, ist ein Sonderfall der Absage aus Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz. Es tritt in zwei Varianten auf.

Variante 1: kleines Unternehmen

Die Geschäftsführung in einem kleinen Unternehmen ist mit der entsprechenden Linienfunktion in einer bedeutend größeren Firma im Umfang nicht zu vergleichen. Natürlich ist ein Vertriebsleiter eines Zeitungsverlages mit einer Auflage von 60.000 Exemplaren kein Gesellschaftsorgan; aber seine Verantwortung allein bei der Zustellung überschreitet deutlich die  Befugnis eines Vertriebsgeschäftsführers, der nur 15.000 Exemplare in die Briefkästen bekommen muss.

Variante 2: kumulative Geschäftsführung

Die kumulative Geschäftsführung tritt in den Fällen auf, in denen kleine Firmen unter einer einheitlichen Leitung zusammengefasst sind. Gründe sind oft die Übernahmen gleich kleiner Unternehmen, die wegen ungelöster Erbfolge verkauft worden sind. Sie haben oft ihre ursprünglichen Gesellschaftsformen, meist die GmbH, beibehalten. So sind zwar aus addierten Kleinverlagen größere Häuser entstanden, die aber trotzdem nicht mit den Großverlagen mithalten können.

Der Endowment-Effekt bei Geschäftsführung

Der Endowment-Effekt tritt bei der Direktansprache zu Tage, wenn den Geschäftsführern dieser kleinen Unternehmen höherwertige operative Stellen ohne Organschaft angeboten werden. Die Angesprochenen „blasen ihren Arbeitsplatz in eine Dimension auf“, die mit der Realität nichts mehr zu tun hat. In diesen Fällen steht ein Recruiter gegenüber dem Endowment-Effekt in den Human Resources häufig auf verlorenem Posten.

3. Absagegrund: Dankbarkeit

Mit Dankbarkeit wird häufig eine neue Position abgelehnt. Sie bezieht sich entweder auf den Arbeitgeber oder die Umstände am Arbeitsplatz.

Arbeitsrecht

Der Begriff der Dankbarkeit ist kein arbeitsrechtliches Institut. Die Rechtslage war in der Zeit bis zum 2. Weltkrieg noch anders. Damals kannte der Prinzipal noch jeden Arbeitnehmer persönlich und fühlte sich ihm patriarchisch verpflichtet. Daraus entstand die Einstufung des Arbeitsverhältnisses in ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis. Heute ist ein Arbeitsverhältnis ein Vertragsverhältnis, das auf Leistung und Gegenleistung, also Arbeit gegen Bezahlung, beruht. Für Dankbarkeit ist rechtlich kein Platz mehr.

Treue

Die sich aus der Dankbarkeit ergebende Treue zum Arbeitsplatz kann sich sogar nachteilig auswirken. Wenn ein Unternehmen in eine Schieflage gerät, ist der Unternehmer zu Rettungsmaßnahmen verpflichtet. Entlassungen sind nicht ausgeschlossen, so dass auch ein dankbarer Arbeitnehmer davon betroffen sein kann. Seine auf Dankbarkeit beruhende Treue löst keine arbeitsrechtliche Schonung aus.

Einkommen

Ein hohes Einkommen kann ebenfalls ein Grund für Dankbarkeit sein. Es steigert den Wert des Arbeitsplatzes. Ob die Erhöhung berechtigt ist, richtet sich nach dem Wert des Preis-Leistung-Verhältnisses, also nach dem Wert der Arbeit im Vergleich zu ihrer Bezahlung. Für die Dankbarkeit ist es ohne Bedeutung, ob das Einkommen berechtigt ist. Der dankbare Besitzer schätzt auf jeden Fall den Wert seines Arbeitsplatzes irrational ein.

Sofern das Einkommen überhöht ist, verhindert der Arbeitgeber mit dem Endowment-Effekt zusätzlich die notwendige Fluktuation in seinem Unternehmen (Näheres zur Fluktuation in den Beraterbriefen „Zu hohe Einkommen – Chinesische Mauer für Unternehmen“, Januar 2013 und „Gehaltshöhe als Wechselbarriere“, Februar 2013, www.kettembeil.de)

Der Endowment-Effekt aus Dankbarkeit

Der Endowment-Effekt ist bei Dankbarkeit als Absagegrund gegenüber einem Stellenangebot besonders offensichtlich und heikel zugleich; denn der Arbeitnehmer reflektiert den Grund für seine Dankbarkeit auf seinen Arbeitsplatz. Damit erweitert er dessen Wert emotional über den tatsächlichen Umfang hinaus. Selbst wenn er den wahren Wert des Arbeitsplatzes richtig  erkennt, führt die durch die Dankbarkeit erzeugte Bindung zu einer irrationalen  Fehleinschätzung, zu einemEndowment-Effekt in den Human Resources.

4. Absagegrund: Immobilität

Die Immobilität ist für viele Kandidaten ein Grund, einen Stellenwechsel abzusagen. Sie betrifft zwar nicht direkt den Wert des Arbeitsplatzes, sondern steigert ihn nur indirekt durch die ihr zugrunde liegenden Umstände.

Umfeld

Das persönliche Umfeld wie Familie, Freundeskreis oder Schulkameraden der Kinder ist imstande, einen Stellenwechsel zu verhindern. Sein Druck führt dazu, dass die Bewertung des Arbeitsplatzes unbeachtet bleibt. Der Kandidaten erliegt einem ferngesteuerten Endowment-Effekt.

Wohnverhältnisse

Die Wohnverhältnisse, die Nachbarschaft, die Wohngegend oder im wahrsten Sinne die Immobilie selbst sind in der Lage den Kandidaten gegenüber einem Stellenangebot immobil zu machen. Ihr Wert nimmt eine Größe an, die den Endowment-Effekt bei der Einschätzung des Arbeitsplatzes auslöst. 

Der Endowment-Effekt bei Immobilität

Der Endowment-Effekt bei Immobilität wird durch außerberufliche Umstände ausgelöst. Das soziale Umfeld des Kandidaten, von dem seine Kontakte beim Arbeitgeber nur einen Teil ausmachen, und seine Eigentumsverhältnisse überlagern seine beruflichen Perspektiven. Sie gestalten und bewerten seinen Arbeitsplatz, so dass der Endowment-Effekt ohne sein Zutun eintritt.

Zusammenfassung

Diese vier Absagegründe sind nur eine Auswahl aus vielen anderen Begründungen, warum ein angesprochener Kandidat eine angebotene Stelle nicht annimmt. Sie zeigen deutlich, wie ein Endowment-Effekt in den Human Resources zustande kommt und wie er von Arbeitsplatz fremden Einflüssen abhängen kann.

Selbstüberschätzung

Die Selbstüberschätzung des Kandidats ist ein wichtiges Kriterium, warum Stellenwechsel nicht zustande kommen. Im Blickpunkt steht nicht der Besitz des Arbeitsplatzes, sondern seine Besetzung durch den Besitzer. Der Wert des Arbeitsplatzes beruht also nicht auf der ihm zugrundeliegenden Aufgabe; sondern er hängt davon ab, wie sein Inhaber nach eigenem Befinden seinen Verpflichtungen aus dem Arbeitsplatz nachkommt. Die Selbstüberschätzung setzt ein, sobald sich der Stelleninhaber selbst eine zu hohe Qualifikation zubilligt. Dabei tritt der Endowment-Effekt in den Human Resources aus beruflicher Selbstüberschätzung des Arbeitsplatzbesitzers in zwei Formen auf.

1. Form: Eigenwilligkeit

Die Eigenwilligkeit einer Führungskraft verhindert die klare Sicht auf den Wert eines Arbeitsplatzes. Sie kommt auch, wie in folgendem Beispiel dargestellt, in der Form des Hochmutes vor (siehe auch Beraterbrief  „Hochmut kommt vor dem Fall“, Juni 2000, www.kettembeil.de)

Beispiel Hochmut

Ein Manager war zwar wechselwillig, aber keine angebotene Stelle war ihm gut genug. Er war davon überzeugt, dass der Wert seines Arbeitsplatzes allein von seinen Fähigkeiten abhänge, er also bei seinem Ausscheiden schrumpfen werde. Jedes Stellenangebot habe sich deshalb an dem Wert zu orientieren, den er selbst seinem Arbeitsplatz unter Einbeziehung seiner Eignung zumesse.

Wechselwilligkeit

Da der Manger seine Qualifikation als sehr hoch eingeschätzt hatte, war er von seiner Unangreifbarkeit ausgegangen. Eine Kündigung seines Anstellungsverhältnisses durch seinen Arbeitgeber hatte er nicht nur ausgeschlossen, sondern gar nicht erst in Erwägung gezogen. Deshalb hatte er seine Wechselwilligkeit in die Branche „gestreut“.

Vertragsauflösung

Dennoch kam es zum Streit mit dem Arbeitgeber, der dem Manager ein missglücktes Kostenmanagement vorhielt. Daraufhin provozierte der Manager eine Kündigung durch den Arbeitgeber, kam ihr aber zuvor, indem er einer Vertragsauflösung zustimmte. Eine neue Stelle fand der Manager nicht, obwohl er in der Branche eine hohe Reputation besessen hatte. Denn das durch seine Eigenwilligkeit vernachlässigte Kostenmanagement hatte das Vertrauen in seine Qualifikation und in den damit verbundenen Wert seines Arbeitsplatzes schrumpfen lassen.

Der Endowment-Effekt beim Hochmut

Die Eigenwilligkeit hatte den Manager veranlasst, den Wert seines Arbeitsplatzes falsch zu berechnen. Er hatte ihn durch eine Selbsteinschätzung seiner Qualifikation angereichert, die letztlich auf einer Selbstüberschätzung beruhte. Der durch die Selbstüberschätzung ausgelöste  Endowment-Effekt hatte verhindert, dass der Manager die Unzufriedenheit seines Arbeitgebers rechtzeitig bemerkte. Nicht nur die Vertragsauflösung, sondern auch die Zustimmung durch den Manager waren auf den Endowment-Effekt zurückzuführen. Zudem lag darin der Grund, warum der Manager keine neue Stelle fand.

2. Form: Realitätsverlust

Der Realitätsverlust ist eine Form der Selbstüberschätzung, die häufig bei Inhabern, Vorständen, Geschäftsführern oder anderen Führungskräften der 1. Ebene vorkommt. Grund ist die Tatschache, dass sie im Unternehmen keine oder keine durchsetzungsfähige Instanz über sich haben. (siehe auch Beraterbrief „Bewerbung nur zu meinen Bedingungen“, Januar 2012, www.kettembeil.de)

Beispiel Geschäftsführer

Ein Geschäftsführer wollte in ein anderes Unternehmen wechseln und führte dazu ein längeres Telefonat mit dessen Inhaber. Danach forderte der Angerufene den Geschäftsführer auf, ihm zur Vorbereitung eines Treffens seine Bewerbungsunterlagen zu schicken. Der Aufgeforderte lehnte ab. Er wolle gelegentlich vorbeikommen, aber keine Unterlagen mitbringen. Der Inhaber sagte weitere Kontakte ab.

Arbeitsplatz

Der Arbeitsplatz eines Geschäftsführers weist ihm die Aufgabe zu, das Unternehmen vertragsgemäß und satzungsgemäß zu führen. Die damit verbundene Kompetenz ist zwar durch Vorschriften begrenzt. Die Durchsetzung der Grenzen ist aber in der Praxis oft wirkungslos. Dennoch ist ein Geschäftsführ gehalten, den Wert seines Arbeitsplatzes nach Recht und Ordnung einzuschätzen. Ein unbeaufsichtigter Geschäftsführer läuft leicht Gefahr, dass er seinen Arbeitsplatz in Selbstüberschätzung überhöht. Da die Aufsicht zugleich ein Korrektiv ist, fördert deren Mangel den Realitätsverlust beim unbeaufsichtigten Geschäftsführer.

Der Endowment-Effekt beim Geschäftsführer

Der Geschäftsführer des Beispiels war der Auffassung, dass die Gepflogenheiten eines Bewerbungsverfahrens nicht für ihn gelten. Er hatte seinen Arbeitsplatz als Geschäftsführer für so wertvoll gehalten, dass er sich dem Inhaber ebenbürtig wähnte. Der Endowment-Effekt hatte diese Selbstüberschätzung sogar um einen Realitätsverlust ergänzt, der zum vorzeitigen Ende der Bewerbung führte.

Zusammenfassung zur Selbsteinschätzung

Der Endowment-Effekt, deutsch Besitztumseffekt, beschreibt eine verhaltensökonomische  Bobachtung. Danach schätzt ein Besitzer seinen eigenen Besitz für wertvoller als jeden anderen  Besitz ein. Diese Einschätzung ändert sich selbst dann nicht, wenn der andere Besitz objektiv höherwertig ist. Dabei geht es immer um Besitzeinschätzung und Besitzwechsel.

Die Selbstüberschätzung des Besitzers bestimmt den Wert seines Arbeitsplatzes nicht direkt. Sie nimmt ihren Umweg über die Psyche, indem sie die Eigenwilligkeit und den Realitätsverlust des Arbeitsplatzbesitzers unterstützt. Der Endowment-Effekt in den Human Resources ist das Ergebnis.

Call-to-Action

Zur weiteren Lektüre werden der Beitrag „Schwarze Schafe unter den Beratern“, und die Beraterbriefe „Direktansprache durch Überzeugen“, April 2003, „Zu hohe Einkommen – Chinesische Mauer für Unternehmen“, Januar 2013, „Gehaltshöhe als Wechselbarriere“, Februar 2013, „Hochmut kommt vor dem Fall“, Juni 2000 und „Bewerbung nur zu meinen Bedingungen“, Januar 2012,( alle unter www.kettembeil.de) empfohlen.

Fazit

Der Endowment-Effekt, auch Besitztumseffekt genannt, beschreibt ein irrationales Phänomen der Verhaltensökonomik. Der Besitzer eines Gegenstandes schätzt dessen Wert höher im Verhältnis zu einem Gegenstand ein, den er künftig besitzen könnte. Der Endowment-Effekt in den Human Resources ist vor allem dem Recruiting zuzurechnen. Er betrifft die Absagen von Positionen, insbesondere in der Direktansprache. Ein Besitzer eines Arbeitsplatzes bewertet ihn höher als eine ihm von einem Recruiter angebotene Stelle.

Nach Erfahrungen aus der Praxis sagen 90 Prozent der Angesprochenen die offerierte Position ab. Darunter befinden sich viele Kandidaten, die dem Endowment-Effekt in den Human Resources erlegen sind. Um den Absagegründen mit Endowment-Effekt auf die Spur kommen zu können, muss ein Recruiter deren Struktur kennen. Die vier analysierten Absagegründe beschreiben, warum ein Kandidat seinen Arbeitsplatz höher als ein Stellenangebot einschätzt. Sie werden durch die Beschreibung von zwei Formen der Eigenwilligkeit ergänzt, die zwar nicht die Bewertung des Arbeitsplatzes an sich betreffen, aber auf Umwegen dennoch Einfluss nehmen.

Der Call-to-Action nennt Beiträge zur ergänzenden Lektüre.

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