Probearbeit vor Gericht könnte ein Trend für die Medien-Branche werden, sofern der zu schildernde Gerichtsprozess nicht die notwendige Aufmerksamkeit erhält. Bemerkenswert ist, wie das beklagte Medienhaus die Probearbeit eines Journalisten ausnutzt. Die Beklagte verkennt, dass längst das der Probearbeit zugrunde liegende Einfühlungsverhältnis einem Arbeitsverhältnis gewichen ist. Eine Bezahlung der journalistischen Arbeit ist angesagt, und zwar nicht nur während der Probearbeitszeit; denn das gerichtlich festgestellte Arbeitsverhältnis bedarf der Kündigung.
Gerichtsprozess zur Probearbeit in der Medienbranche
Einer der ersten Gerichtsprozesse zur Probearbeit in der Medienbranche wurde in der ersten Hälfte des Jahres 2021 durch Urteil eines Landesarbeitsgerichts entschieden.
Sachverhalt zur Probearbeit
Ein freier Journalist nahm eine Probearbeit bei einem Medienhaus an. Sie dauerte sieben Tage einschließlich des Wochenenddienstes. Der Journalist übernahm eine volle Redakteursstelle und ihm wurde am Wochenende die stellvertretende Redaktionsleitung übertragen.
Für diese Probearbeit erhielt er keine Vergütung, also weder die übliche Bezahlung für einen Redakteur noch die Zuschläge für Überstunden und den Wochenenddienst. Auch die stellvertretende Redaktionsleitung wurde nicht vergütet.
Erste Gerichtsinstanz
Vor dem Arbeitsgericht klagte der Journalist die ausstehende Vergütung ein. Das beklagte Medienhaus beantragte die Klageabweisung, bot allerdings eine geringe Abfindung an.
Das Arbeitsgericht erkannte, dass die Grenze vom Einfühlungsverhältnis zum Arbeitsverhältnis überschritten sei. Darum verurteilte es das Medienhaus zu tarifgerechter Bezahlung der Probearbeit. Da das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt sei, unterstellte das Arbeitsgericht eine sechsmonatige Kündigungsfrist. Deshalb sei die Vergütung auch für diese Zeit zu zahlen.
Gegen das erstinstanzliche Urteil legte das Medienhaus Berufung ein.
Zweite Gerichtsinstanz
Das Landesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, allerdings mit einer nicht unerheblichen Abweichung. Das Gericht erließ einen gerichtlichen Hinweis, dass aus seiner Sicht das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt sei. Wenn die zu erwartende Bezahlung in Grenzen gehalten werden solle, müsse das Medienhaus eine aktuelle Kündigung des Arbeitsverhältnisses aussprechen.
Das Medienhaus bot daraufhin dem Journalisten eine Abfindung an, die dieser zurückwies. Deshalb verurteilte das Landesarbeitsgericht das Medienhaus zur vollen Bezahlung der Probearbeit und der Zeit bis zum Urteil, also für anderthalb Jahre bis zu seinem Erlass; denn das Medienhaus habe das Arbeitsverhältnis erst soeben gekündigt und befinde sich deshalb für die gesamte Zeit im Annahmeverzug.
Die Revision gegen das landesarbeitsgerichtliche Urteil durch das Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.
Beurteilung des Gerichtsprozesses zur Probearbeit in der Medienbranche
Aufmerksamkeit gewinnt der Gerichtsprozess zur Probearbeit des Journalisten deshalb, weil sich der Sachverhalt in der Medienbranche abgespielt hat.
Erläuterung zur ersten gerichtlichen Instanz
Beide Gerichte haben übereinstimmend ein Einfühlungsverhältnis verneint. Deshalb haben sie aus dem Leistungspaket der Probearbeit für den Journalisten auf ein Arbeitsverhältnis geschlossen, das noch nicht gekündigt war.
Unverständlich ist allerdings, warum das Medienhaus in die Berufung gegangen ist; denn das erstinstanzliche Urteil lag voll im Trend der Arbeitsgerichte zur Probearbeit in anderen Branchen. Es hatte sogar zugunsten des Beklagten eine sechsmonatige Kündigung fingiert und damit die Gehaltszahlung an den Journalisten eingebremst.
Erläuterung zur zweiten gerichtlichen Instanz
Das vom Medienhaus angerufene Landesarbeitsgericht in zweiter Instanz war nicht so freundlich. Es verwarf die Fiktion der Kündigung und stellte nüchtern fest, dass eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses bisher nicht ersichtlich war.
Das Landesarbeitsgericht kam überdies seiner gerichtlichen Hinweispflicht zu dieser Feststellung unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach. Sie dient dazu, eine Überraschungsentscheidung zu vermeiden.
Das Medienhaus bot daraufhin dem Journalisten eine Abfindung an, die dieser wegen Spärlichkeit zurückwies. Folglich wurde das Urteil gesprochen.
Erläuterung zur Fehleinschätzung des Medienhauses
Da es eines der ersten Gerichtsverfahren zur Probearbeit in der Medienbranche war, hatte das Medienhaus die Rechtslage und deren Folgen sträflich unterschätzt. Es hatte sich mit seiner Berufungsklage über die ständige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte einfach hinweggesetzt.
Allein das Auftreten des Medienhauses im Prozess spiegelt die Erwartung wider, dass die Ausnutzung des probearbeitenden Journalisten vor Gericht Bestand haben werde. Weder das erstinstanzliche Urteil noch der gerichtliche Pflichthinweis des Landesarbeitsgerichts bringen das Medienhaus von seiner Einschätzung des Prozessrisikos ab. Es bietet dem Journalisten sogar einenur geringeAbfindung als gerichtlichen Vergleichsvorschlag an.
Als Konsequenz aus seinem ignoranten Verhalten vor Gericht und Verkennung der Rechtslage hat das Medienhaus den Prozess verloren und die Kosten zu tragen. Eine Revision des Urteilsspruchs wurde ihm verwehrt.
Quintessenz aus der Probearbeit vor Gericht
Probearbeit vor Gericht sollte ein Einzelfall bleiben. Das beschriebene Urteil ist eines der ersten für die Medienbranche.
Doch daraus den Schluss zu ziehen, ein Missbrauch der Probearbeit komme in den Medien selten vor, wäre ein Irrtum. Es fehlt nämlich an Prozessen, weil sich die Probearbeitenden scheuen, auf Vergütung zu klagen.
Die Corona-Pandemie hat viele Arbeitsplätze vernichtet, so dass sie rar geworden sind. Um eine Anstellung nicht zu gefährden, verzichten Probearbeitende lieber auf die Vergütung der Probearbeit. So hat sich die Probearbeit zur neuen Geldgrube entwickelt.
Die Lehren aus dem beschriebenen Prozess zur Probearbeit in der Medien-Branche sind folgende:
- Das Ausbleiben von Klagen auf Vergütung verstärkt in den Medienhäusern den Eindruck, die Ausnutzung von Probearbeitenden sei rechtmäßig.
- Diese Einstellung setzt sich in der Prozessführung fort, so dass gerichtliche Signale missverstanden oder gar nicht wahrgenommen werden.
Solange die Probearbeit von Arbeitgebern ausgenutzt wird, darf die Probearbeit vor Gericht kein Einzelfall bleiben.
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