Eine Bewerbung auf „Weltreise“ verliert ihren Datenschutz, wenn sie von einem internationalen Konzern an seine Tochtergesellschaften in ungesicherte Drittländer weitergereicht wird. Nicht immer ist beweisbar, ob Verstöße wie unerlaubtes Profiling vorliegen; klar ist zwar, dass Bewerber keine Betriebsangehörigen sind. Sie haben dennoch auf Informationen Anspruch, was mit ihren Unterlagen geschieht, und müssen jeder Datenweiterleitung ausdrücklich zustimmen.
Unterwegs mit 5 Stopps – sogar ins unsichere Drittland
Mit 5 Stopps wurde eine Bewerbung auf „Weltreise“ geschickt, die sogar vorübergehend in einem unsicheren Drittland ankam. Diese „Bearbeitung“ war nur möglich, weil sie in einem Konzern stattfand. Ihre Schilderung ist ein notwendiger Beitrag zum Datenschutz von Stellenbewerbungen bei Konzernen.
Der Fall einer Bewerbung auf „Weltreise“
Ein deutscher international tätiger Konzern mit Sitz in einer deutschen Großstadt hatte an seinem Standort eine Führungsaufgabe zu vergeben. Ein Kandidat wurde über eine Personalvermittlung gebeten, seine Bewerbung wegen der Konzernsprache auf Englisch als U.S.-amerikanischen Lebenslauf ohne Zeugnisse abzugeben.
Zwei Wochen nach Abgabe wurde er von einem indischen HR-Mitarbeiter zu dessen Geschäftszeit in Indien, also gegen 21 Uhr MEZ, angerufen und zur Übersendung eines englischsprachigen Werdegangs nach angelsächsischer Commonwealth-Art mit Zeugnissen aufgefordert.
Zwei Tage später zur selben Zeit erging an ihn die Bitte, er möge seine Unterlagen zertifiziert ins Englische übersetzen lassen. Als sich der Bewerber tags darauf bei der Assistentin des deutschen Konzern-HR-Managers über das neuerliche Ansinnen irritiert zeigte, war sie von der Mitteilung über den Versand der Bewerbungsunterlagen nach Indien überrascht; denn in Indien würden nur die Bewerbungen von IT-Entwicklern aus aller Welt betreut.
Danach meldete sich ein deutscher Senior HR Business Partner, der die vollständigen Bewerbungsunterlagen auf Deutsch erbat. Die Bewerbung auf „Weltreise“ wurde dem Kandidaten als Folge einer Umstrukturierung im Konzern erklärt.
1. Stopp: Anbahnung durch den Personalvermittler
Im ersten Stopp der Bewerbung war der Kandidat von einem Personalvermittler im Auftrag des Konzerns auf die offene Führungsaufgabe angesprochen worden. Die Ansprache hatte die Qualität eines Tipps; denn alles Weitere zur Position und zum Bewerbungsverfahren, das über den Hinweis hinausging, sollte der Kandidat bei der Person erfragen, deren Telefonnummer er vom Vermittler erhalten hatte.
An dieser, wenn auch unüblichen, Art der Personalsuche ist nichts auszusetzen. Der erste Schritt dieser Bewerbung war getan.
2. Stopp: Kontaktaufnahme zum Konzern
Im zweiten Schritt rief der Kandidat die genannte Telefonnummer an und landete beim HR- Manager des Konzerns, der ihn nach einer freundlichen Begrüßung an seine Assistentin durchstellte. Von ihr erfuhr er, dass die Konzernsprache Englisch sei und deshalb seine Bewerbung, also die eines Deutschen auf eine deutsche Führungsposition in einer deutschen Großstadt, auf Englisch zu erfolgen habe. Konzernweit werde der U.S. amerikanische Résumé als Unterlage angefordert.
Der Résumé ist ein Resümee des beruflichen Werdeganges, das sich auf die letzte Tätigkeit bezieht. Sie wird umfassend beschrieben und um die Darstellung von erreichten Zielen und Verantwortlichkeiten ergänzt. Zum Beweis werden zwei bis drei Referenzen angegeben. Danach werden in historisch umgekehrter Reihenfolge nur die wichtigsten beruflichen Positionen in kurzen Worten aufgeführt. Der Résumé enthält kein Bewerbungsfoto und keine Angaben zu Alter, Geschlecht, Nationalität oder Religion. Weder Adresse noch Datum oder Unterschrift sind dort zu finden.
Der Résumé findet in deutschen, international tätigen Konzernen anlässlich des Inkrafttretens des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vom 14.08.2006 zunehmend Verwendung, praktischerweise auch, weil er in den USA aus Gründen des Datenschutzes und des Verbots der Diskriminierung die erforderliche Bewerbungsunterlage ist. Referenzen entsprechen mehr als schriftliche Zeugnisse der amerikanischen Mentalität. Auch am zweiten Schritt der Kontaktaufnahme ist also nichts auszusetzen.
3. Stopp: Ankunft in einem Drittland (laut DSGVO)
Im dritten Schritt erklärte sich um 21 Uhr MEZ ein indischer Mitarbeiter eines HR-Centers für die Bewerbung zuständig und bat den Kandidaten um ein englisches Curriculum Vitae (CV), wie er im Commonwealth üblich ist, und um die Zusendung der Zeugnisse. Er meldete sich zudem aus Indien, einem unsicheren Drittland gemäß der DSGVO im Sinne der EU. Damit hatte sich die Bewerbung auf „Weltreise“ begeben.
Bemerkenswert ist weiter, dass der HR-Mitarbeiter entgegen der Konzernrichtlinie einen CV und Zeugnisse anfordert und sich nicht mit dem vorliegenden und vorgegebenen Rèsumé begnügt. Der Unterschied des CV zum Résumé besteht in der geografischen Verwendung, also im Commonwealth statt in den USA, und in der Darstellung, die mehr dem deutschen Werdegang entspricht. Er enthält aber weder Lichtbild noch persönlichen Angaben oder Unterschrift.
Der dritte Schritt ist hinsichtlich der Einhaltung der DSGVO und der Anforderung anderer Bewerbungsunterlagen bemerkenswert. Während die Bitte um einen CV und weitere Unterlagen einem internen Affront gegen die Richtlinien des Konzerns gleich kommt, ist der Versand der Unterlagen in das unsichere Drittland Indien hinsichtlich der Einhaltung des Datenschutzes bedenklich.
Zum Datenschutz im 3. Stopp
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schützt auch eingereichte Bewerbungsunterlagen vor Missbrauch.
Konzernprivileg
Werden Bewerbungsunterlagen bei einer Unternehmensgruppe (Konzern) eingereicht, so hat die Unternehmensgruppe erleichterte Vorschriften für die Datenverarbeitung. Ein Konzernprivileg gibt es allerdings nicht; denn jedes dem Konzern angehörige Unternehmen gilt als eigenständig.
Ein berechtigtes Interesse an einer Datenübermittlung gem. Art 6 Abs.1f DSGVO wird in Verbindung mit dem Erwägungsgrund nach Art. 48 DSGVO als „kleines Konzernprivileg“ anerkannt. Es gilt für den Versand an Abteilungen oder Auftragnehmer in unsicheren Drittländern, die der Vorschrift des Art. 28 DSGVO genügen. Viele Unternehmensgruppen verlassen sich jedoch nicht auf das „kleine Konzernprivileg“, sondern lassen Konzernunternehmen untereinander Datenschutzverträge abschließen.
Nicht klar ist, ob das indische HR-Center im Fall aus der Praxis eine Konzerntochter oder ein Auftragnehmer ist. Auch ist nicht bekannt, ob und wie der Datenschutz für die Weiterleitung personenbezogener Daten geregelt ist. Die Übergabe der Bewerbungsunterlagen kann also rechtlich nicht gewertet werden.
Berechtigtes Interesse
Die gemeinsame Nutzung, „Shared Services“, von Daten durch verschiedene Unternehmen der Gruppe ist rechtlich unbedenklich, wenn ein berechtigtes Interesse vorliegt. Zu den berechtigten Interessen zählen z.B. Gewinnmaximierung, Kostensenkung oder Verwaltungsoptimierung. Deshalb kann der Konzern des Falles aus der Praxis den Versand von Personalunterlagen nach Indien aus Gründen der Optimierung der Personalarbeit legal nutzen.
Bewerber
Der Versand von Werdegängen der Mitglieder der Belegschaft ist also zulässig. Aber Bewerber gehören der Belegschaft der Unternehmensgruppen nicht an. Sie befinden sich in einem Auswahlverfahren, dessen Ausgang ungewiss ist. Das gilt auch für Einzelbewerbungen. Sind die Würfel zugunsten eines Bewerbers gefallen, kann er seine Bewerbung immer noch zurückziehen, so dass kein Anstellungsverhältnis zustande kommt. Zudem können die Verhandlungen zum Arbeitsvertrag scheitern, und der Bewerber wird nicht Mitglied der Belegschaft. Ein Bewerber ist folglich einem Arbeitnehmer der Unternehmensgruppe nicht gleichzusetzen. Die Bewerbungsunterlagen dürfen deshalb nur nach ausdrücklicher Einwilligung des Kandidaten in der Unternehmensgruppe weitergeleitet werden.
Da es an der notwendigen Information durch den Konzern und an der ausdrücklichen Einwilligung des Bewerbers fehlt, war die Weiterleitung des Résumé nach Indien unzulässig. Der Versand des CV mit den Zeugnissen an den indischen HR Mitarbeiter hat nicht den Rechtsmangel der fehlenden ausdrücklichen Einwilligung geheilt. Der Versand der Unterlagen schließt zwar eine Willenserklärung ein, die als Einwilligung interpretiert werden kann, aber nur als Nebenfolge der Versandtätigkeit. Von der DSGVO gefordert wird aber eine ausdrückliche Einwilligung, die gesondert zu erklären ist. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Zur Zertifizierung der Zeugnisse im 3. Stopp
Mit seinem zweiten Telefonat erbat der indische Mitarbeiter des HR-Centers eine zertifizierte Übersetzung der deutschen Zeugnisse ins Englische. Erst durch diese Bitte wurde dem Bewerber bewusst, dass seine Unterlagen eine „Weltreise“ angetreten hatten. Mit deren Versand hatte er den Bewerbungsprozess am Laufen halten, aber nicht seine Einwilligung zur Bearbeitung seiner Unterlagen in Drittländern geben wollen.
Deshalb rief er verstört die Assistentin des deutschen HR-Managers an. Er hatte in Indien rechtsgültige Zeugnisse für seine Bewerbung auf eine Stelle in Deutschland eingereicht und sollte sie nun für einen indischen Mitarbeiter des Konzerns nicht nur ins Englische übertragen, sondern diese Übersetzung auch noch beglaubigen lassen.
4. Stopp: Klärung beim Konzern
Nach dem zweiten Telefonat zweifelte der Bewerber die Kompetenz des indischen Personalmanagers an, die Bewerbung auf die deutsche Führungsstelle richtig beurteilen zu können. Unterstützung seiner Zweifel erhielt er durch die Assistentin des HR-Konzern-Managers, die sich die Übermittlung des Werdeganges nach Indien ebenfalls nicht erklären konnte; denn dort werden nur Bewerbungen für IT-Entwickler bearbeitet. Die Übermittlung des Résumé nach Indien war also ein Irrtum und durch die Willenserklärung des Konzerns nicht gedeckt; das kleine Konzernprivileg war ungewollt.
5. Stopp: Ende der „Weltreise“ und Neustart im Inland
Das Verhalten des indischen HR-Mitarbeiters sorgte für Unerständnis im Konzern und für Unmut in der deutschen Personalabteilung.
Ende für die Bewerbungsunterlagen auf Englisch
Mit dem Anruf und der Bitte eines deutschen HR Senior Business Partners um deutsche Unterlagen wurde das Bewerbungsverfahren in Indien beendet und in Deutschland fortgesetzt. Ein neuer Satz deutscher Unterlagen wurde nach Deutschland verschickt. Wo die anderen abgeblieben sind, ist unklar. Doch auch diese Bewerbungsunterlagen widersprachen wie die vorherigen nach Indien versandten der Konzernrichtlinie, dass weltweit ein Résumé für eine Bewerbung ausreicht. Andererseits war dieser Verstoß DSGVO-konform und sicher aussagekräftiger für die Beurteilung der Bewerbung auf die Führungsposition.
Die „Weltreise“ der englischsprachigen Unterlagen war nach vier Wochen beendet.
Neustart mit Versand der Bewerbungsunterlagen auf Deutsch
Mit dem Versand der neuen vollständigen Bewerbung auf Deutsch von Deutschland nach Deutschland hatten die Unterlagen mit Verspätung ihr Ziel erreicht, wenn auch in der gewünschten Form des Bearbeiters und nicht in der des Konzerns.
Kurz darauf erkundigte sich der Personalvermittler beim Bewerber über den Stand des Verfahrens. Überrascht von der Schilderung des Kandidaten, setzte er sich für eine Klärung des Ablaufs der Bewerbung ein. Er wurde noch am selben Tag fündig und berichtete von Umstrukturierungen im Konzern als dessen Ursache.
Umstrukturierungen als Entschuldigungsgrund sind eher als Schutzbehauptung zu enttarnen; denn sie täuschen nicht über den Verdacht hinweg, dass unerlaubtes Profiling, „jede Art der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten“ (Art 4 Abs.1 Ziff. 4 DSGVO), der wahre Grund ist. Der Résumé des Bewerbers könnte automatisch nach Indien gelangt sein; für die Unrechtmäßigkeit der Übertragung ist es unerheblich, ob der Automatismus zusätzlich falsch programmiert war. Unerlaubtes Profiling ist also in diesem Fall aus der Praxis nicht auszuschließen.
Resümee zum Schutz einer Bewerbung auf „Weltreise“
Der Datenschutz in Konzernen ist trotz DSGVO eine unsichere Angelegenheit; denn ein Verstoß dagegen ist nur schwer beweisbar. Hinzu kommt die Gültigkeit des Dictums: „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Stellenbewerber sind, wie der Fall aus der Praxis zeigt, eine gefährdete Gruppe. Sie sind keine Mitarbeiter, übermitteln aber dennoch personenbezogene Daten, für die der Datenschutz gilt. Unerlaubte Datenübermittlung oder Profiling lassen sich schwer nachweisen. Die Bewerber haben als Externe keinen Zugang zu den Verarbeitungsprozessen und können deshalb nur schwer Beweise beschaffen; und wenn, werden sie tunlichst nicht vorstellig, weil sie ihre Bewerbung gefährden könnten. Der verfremdet dargestellte Fall aus der Praxis, sicher kein Unikum, zeigt, dass ein durchsetzbarer Bewerberschutz vonnöten ist. Bisher haben die Kandidaten nur das Recht, aber nicht die Beweisregeln auf ihrer Seite.
Call-to-action
Zur weiteren Lektüre sind der Blog-Beitrag „Passives Suchen und Datenschutz“ sowie der Beraterbrief „Die anonymisierte Bewerbung“ (August 2012) auf www.kettembeil.de zu empfehlen.
Fazit
Um den Datenschutz für eine Bewerbung auf „Weltreise“ ist es schlecht bestellt. Der Rechtsschutz mag leidlich sein, seine Durchsetzung aber nicht. Ein Fall aus der Praxis, der aus Rechtsgründen verfremdet beschrieben wurde, scheint keine einsame Angelegenheit zu sein. Er zeigt, wie schnell personenbezogene Daten der Bewerber auf „Weltreise“ geschickt werden, in Indien landen können, einem unsicheren Drittland des Datenschutzes.
Das Unterlassen der Informationspflicht der Unternehmensgruppe, die sie bei dem Versand der Bewerbung an andere Konzernabteilungen einzuhalten hat, ist allzu offenkundig. Die notwendige ausdrückliche Einwilligung des Bewerbers wurde nicht eingeholt. Unerlaubtes Profiling der Unterlagen ist nicht ausgeschlossen. Diese Verstöße werden vom Konzern nicht eingeräumt, als der missbräuchliche Versand der Unterlagen aufgefallen ist, und zwar nur deshalb, weil die interne sprachliche Richtlinie für das Abfassen von Bewerbungen nicht eingehalten worden war.
Der Konzern begründet den Vorgang mit internen Umstrukturierungen, räumt weder seine Verstöße gegen den Datenschutz ein noch entschuldigt er sich bei dem Bewerber. Er ist sich nämlich sicher, dass der Bewerber die Unregelmäßigkeiten nicht gerichtsbeständig nachweisen kann, und wenn doch, er seine Bewerbung nicht gefährden will. Bedacht hat der Konzern bei seiner Strategie allerdings nicht, dass ein abgelehnter Bewerber die erforderliche Beweislage mit unzufriedenen Mitarbeitern herstellen und für Aufmerksamkeit sorgen kann. Er muss nämlich nicht hinnehmen, dass seine Bewerbung auf „Weltreise“ geschickt wird.
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