Blut ist dicker als wirtschaftliche Vernunft, um ein Sprichwort abzuwandeln. Die Generationenwechsel um die Nachfolge in Familienunternehmen verlaufen höchst unterschiedlich. Ob Töchter oder Söhne auf Väter folgen, ist für die Belegschaft nicht unmaßgeblich. Die wirtschaftliche Vernunft kann auf der Strecke bleiben, wenn die verwandtschaftlichen Bande überhand gewinnen. Die Mitarbeiter sind die Dummen.

Vater und Tochter in Familienunternehmen

Drei Fälle aus der Praxis schildern die Vater-Tochter-Beziehung in Familienunternehmen.  Sie beginnt mit der Zusammenarbeit im Unternehmen, bevor die Tochter die Nachfolge antritt. Ihr Beginn ist bereits der Anfang vom Ende des Familienunternehmens. Doch die Vater-Tochter-Beziehung scheint nie enden zu wollen; denn Blut ist dicker als wirtschaftliche Vernunft.

Psychologische Vorbemerkung

Zur Beschreibung der Vater-Tochter-Beziehung hat der Psychologe C.G. Jung den Elektra-Komplex vorgeschlagen und dem Ödipus-Komplex gegenübergestellt, den der Psychoanalytiker Sigmund Freud zur Beschreibung des Vater-Sohn-Konflikts entwickelt hat.

Eine Einführung in die wissenschaftlichen Standpunkte der Psychology of Personal Relations wäre an dieser Stelle sicher reizvoll, lenkte aber von den Ausführungen der folgenden drei Fälle ab. Sie schildern nämlich, wie Elektra die wirtschaftliche Vernunft mit Hilfe von verwandtschaftlichem Blut korrumpiert; sie lässt die Töchter billigend in Kauf nehmen, dass die der Mutter geltenden Feindseligkeiten an die Mitarbeiter im Familienunternehmen umgelenkt werden. Das Alter der Väter in diesen Beispielen ging auf die 90 zu, das der Töchter lag bei 50 Jahren.

1. Fall: Firmenverkauf

Im Grunde ist das Thema dieses ersten Falles mehr als eine Vater-Tochter- Beziehung; es schließt nämlich den Enkel ein.

Die Ausbildung

Zur Tochter aus gutem Hause erzog ein Unternehmer sein Lieblingskind, um es beizeiten auf seine Nachfolge als Firmenchefin vorzubereiten. Schon zur Schulzeit übte sie sich im Small Talk mit Kunden. Nach dem Abitur absolvierte sie ein technisches Studium. Anschließend hospitierte sie bei befreundeten Unternehmen, bevor sie als Chefin an der Seite ihres Vaters in den familiären Betrieb eintrat.

Die Eigentumsverhältnisse

Die elterliche Firma gehörte zu gleichen Teilen zwei Geschwistern, die sich die Geschäftsführung teilen. Der Vater leitete die Produktion, die Schwester den Verkauf. Beide standen sich feindlich gegenüber. Der Vater instrumentalisierte seine Tochter gegen die Verwandtschaft.

Als die Schwester gestorben war, betrieben Vater und Tochter wider alle wirtschaftliche Vernunft  die Auszahlung der Erben. Da sie einen zu hohen Preis akzeptierten, mussten sie später einen Fremdgesellschafter aufnehmen, der zwar über Liquidität, aber nicht über Verkaufs-Knowhow verfügte. Das fehlende Wissen konnte schließlich nur durch den Beitritt einer kompetenten Firma als weitere Gesellschafterin erworben werden. Dadurch sank der Anteil am Gesellschaftsvermögen von Vater und Tochter auf 70 Prozent.

Die Zusammenarbeit

Von Beginn an gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen Vater und Tochter schwierig. Der Vater übertrug ihr kaum Verantwortung. In allen wichtigen Entscheidungen behielt er sich das letzte Wort vor. Die Tochter zog sich mehr und mehr zurück und mutierte zur Teilzeitkraft.

Blut ist dicker

Seit der Vater die 85 überschritten hatte, wurden seine Entschlüsse merkwürdiger und widersprüchlicher. Die Belegschaft begann zu meutern. Obwohl die Gewinnmarge nach unten zeigte, vertrat sogar die Tochter wider besseren Wissens die Ansichten des Vaters in der Öffentlichkeit.

Die anderen Gesellschafter begannen die Geduld zu verlieren und trotzten Vater und Tochter weitere 15 Prozent der Anteile ab. Die Stimmung im Unternehmen und die Gewinnsituation blieben angespannt.

Der Enkel

Mit Freude war der Vater Großvater eines männlichen Nachkommens geworden. In dessen Geburt sah er eine unternehmerische Leistung seiner Tochter. Als der Enkel auf die Volljährigkeit zuging, stellte ihm der (Groß-)Vater in Anwesenheit seiner Tochter die Frage, ob er sein Nachfolger in der Firma werden wolle.

Das Ende

Seit diesem Ereignis war die Zusammenarbeit zwischen Vater und Tochter noch mehr beeinträchtigt, aber das verwandtschaftliche Blut wehrte weitere Attacken der Belegschaft und Gesellschafter gegen unverständliche Entscheidungen des über Neunzigjährigen ab; denn Blut ist dicker als wirtschaftliche Vernunft.

Als der (Groß-)Vater starb, war der Enkel noch in der Ausbildung. Die Tochter hielt dem Druck nicht länger stand und verkaufte ihre Anteile an die beiden anderen Gesellschafter. Da das Blut wirtschaftlich vernünftige Entscheidungen blockiert hatte, war der Firmenwert geschrumpft. Die übernehmenden Käufer teilten deshalb das Unternehmen unter sich auf und schlossen den Geschäftsbetrieb. Die Dummen waren die Mitarbeiter.

2. Fall: Insolvenz

Der zweite Fall thematisiert familienrechtliche Verquickungen, die über das Vater-Tochter-Verhältnis hinausgehen.

Die Ausgangslage

Zu seiner Nachfolgerin hatte ein Unternehmer seine Tochter bestimmt und seinem Sohn vorgezogen. Er bestand darauf, dass sie ständig in der Firma anwesend war und die Erziehung ihrer Kinder auf den Schwiegersohn übertrug. Zum Ausgleich wurde der Schwiegersohn auf der Gehaltsliste geführt.

Der Unternehmer teilte seiner Tochter ein begrenztes Aufgabengebiet zu, war aber im Grunde nicht von ihrem unternehmerischen Talent überzeugt. Deshalb engagierte er für den Aufbau eines neuen Geschäftsfeldes einen Geschäftsführer, den er an die Seite der Tochter stellte. Da der Unternehmer mit seinen 85 Jahren noch gut in Form war, machte er sich über die Zukunft seiner Firma keine Sorgen.

Die Eigentumsverhältnisse

Zu 50 Prozent der Anteile hatte der Unternehmer die Firma geerbt, der Rest gehörte anderen Verwandten, die einen Pool der Gesellschaftsanteile gebildet hatten. Die Mehrheit der Stimmrechte lag bei dem Unternehmer, sodass ein Patt bei Abstimmungen ausgeschlossen war. Meinungsverschiedenheiten waren bisher selten aufgetreten.

Die Fortsetzung

Nachdem der angestellte Geschäftsführer seinen Bereich aufgebaut hatte, begann er, Auftragsverluste in anderen Bereichen aufzuholen. Seine Tätigkeit war ein Gewinn für das Unternehmen; denn weder der Aufbau noch die Ergebnissteigerungen hätten von der Tochter geleistet werden können.

Immer wieder hatte der angestellte Geschäftsführer versucht, Maßnahmen zur Rettung des Unternehmens einzuleiten. Die Tochter stimmte zu, um ihrem Vater gegenüber wider die wirtschaftliche Vernunft das Gegenteil zu vertreten.

Blut ist dicker

Schließlich verkaufte der Unternehmer gegen den Willen seiner Schwestern das Betriebsgrundstück. Danach kündigte er die Arbeitsverhältnisse des Geschäftsführers samt aller Mitarbeiter des neuen Bereichs. Die Folge waren Kündigungsschutzklagen, die sich über Jahre hinzogen. Die Tochter, der die Sinnlosigkeit der Vorgehensweise ihres Vaters nicht verborgen geblieben war, schritt nicht ein, sondern unterstützte ihn sogar; denn Blut ist dicker als wirtschaftliche Vernunft.

Die rechtliche Entwicklung

Um den Niedergang des Unternehmens aufzuhalten, nahmen die anderen Gesellschafter Kontakt zur Tochter auf. Sie blockte ab, um den Vater zu schützen. Doch hätte die Weitergabe wichtiger Informationen an die Minderheitseigentümer das Unternehmen vor seinem späteren Schicksal bewahren können.

Zivilrechtliche Schritte

Zunächst griffen die Minderheitseigentümer die Handlungen des Vaters als Geschäftsführer zivilrechtlich an. Sie forderten Schadensersatz, beanstandeten den Verkauf des Grundstücks und machten Gesellschafterrechte geltend. Die Tochter verteidigte ihren Vater und handelte damit gegen die Interessen der Firma und deren Mitarbeiter; denn Blut ist dicker als wirtschaftliche Vernunft.

Das Abberufungsverfahren

Daneben strengten die Minderheitsgesellschafter ein gerichtliches Abberufungsverfahren des Vaters als Geschäftsführer an. Da eine Abberufung wegen Alters auch bei einem 85jährigen nicht zulässig ist (siehe Beraterbrief „Alter allein reicht nicht“, Juni 2015, www.kettembeil.de), mussten schwer zu erbringende Beweise vom Fehlverhalten vorgelegt werden. Der Vater verzögerte zudem den Prozess durch Vertagungen und Nichterscheinen vor Gericht.

Die „Entmündigung“

Um die Abberufung durchzusetzen, suchten die Minderheitsgesellschafter den Unternehmer zu „entmündigen“. Eine Entmündigung Volljähriger ist rechtlich nicht mehr möglich. An ihre Stelle ist die Betreuung gem. § 1896 BGB getreten. Doch nicht jede Betreuung führt zur Abberufung eines Geschäftsführers. Nur wenn der Betreute unter Einwilligungsvorbehalt gem. § 1903 BGB steht, also sein eigenes Vermögen nicht verwalten kann, ist eine Abberufung gem. § 6 Abs. 2 Ziff. 1 GmbHG möglich.

Durch Prozessverschleppung wollte der Vater dieser Art der Abberufung als Geschäftsführer entgehen. Doch er wurde, wenn auch erst nach Jahren, gerichtlich unter Einwilligungsvorbehalt gestellt und abberufen.

Das Ende

Als der Vater wegen „Entmündigung“ als Geschäftsführer abberufen worden war, war das Unternehmen soweit abgewirtschaftet, dass die Insolvenz beantragt werden musste. Die Tochter hatte auf breiter Front versagt. Sie hätte nicht auf seine Abberufung gem. § 1903 BGB warten dürfen. Doch Blut ist dicker als wirtschaftliche Vernunft.

Ihre Unterstützung des Vaters war wider alle wirtschaftliche Vernunft gewesen, weil sie den Niedergang der Firma beflügelt hatte. Die Dummen waren die Mitarbeiter, die alle ihre Anstellungsverhältnisse durch die Insolvenz verloren.

3. Fall: Die Lehre

Der Fall schildert, wie rechtzeitig aus der Vater-Tochter-Beziehung eine Lehre gezogen werden konnte.

Die Ausgangslage

Zur Steuerung seiner Verkaufsmannschaft suchte ein Unternehmer einen kompetenten Verkaufsleiter. An einem Einstellungsgespräch nahm auch die Tochter teil, die der Vater ihrem Bruder als Geschäftsführer vorgezogen hatte.

Der Bewerber machte schnell klar, dass er mehr als die Kompetenz eines Verkaufsleiters anzubieten habe. Außerdem passte sein Einkommenswunsch nicht zum Angebot des Unternehmers. Deshalb mündete das Gespräch in eine Stellenbeschreibung für einen Geschäftsleiter.

Diese Änderung kam dem Unternehmer auch deshalb gelegen, weil er einen Fachmann zur Unterstützung seiner Tochter gebrauchen konnte; denn er traute ihr die Geschäftsführung nicht so ganz zu. Außerdem hatte er die Geschäftsführung eines Zweigwerkes gerade besetzt, die der Kandidat an Stelle der Tochter überwachen könnte. Beide Seiten beendeten das Vorstellungsgespräch, um sich nach einer Überlegungsfrist wieder zu kontaktieren.

Die Fortsetzung

Einige Tage später rief die Tochter den Bewerber an, um ihn nach seinen Eindrücken zu befragen. Sie war der Meinung, das Zweigwerk solle wegen Unrentabilität spätestens in sechs Jahren geschlossen werden. Der Bewerber stimmte zu und bot an, die Schließung in Eigenverantwortung vorzunehmen.

Die Tochter veranlasste nach diesem harmonischen Telefonat ihren Vater, einen Anstellungsvertrag nach den im Bewerbungsgespräch vereinbarten Eckpunkten zu entwerfen und an den Bewerber zu senden; denn da sie künftig die Verantwortung für das ganze Unternehmen tragen werde, habe sie ein eigenes Interesse am Vertragsabschluss.

Das Ende

Der  an den Bewerber übermittelte Vertragsentwurf entsprach leider nicht den getroffenen Verabredungen und war nicht auf dem neuesten Stand des Arbeitsrechts. Ein Teil des besprochenen Einkommens war als ein rückzahlbarer Vorschuss gestaltet, so dass die Gehaltshöhe der eines Verkaufsleiters, aber nicht der eines Geschäftsleiters entsprach. Mit diesem Entwurf, der den Charakter eines Vertrages für einen Verkaufsleiter hatte, hatte sich der Vater durchgesetzt.

Blut ist dicker

Aus diesem Indiz schloss der Bewerber, dass der Vater das Zweigwerk erhalten, während die Tochter es schließen wollte. Er vermutete ein Kompetenzvakuum, das im Zweifel durch verwandtschaftliches Blut und nicht durch wirtschaftliche Vernunft gefüllt würde. Da der Entwurf nicht der Vereinbarung entsprach, das Verhältnis zwischen Vater und Tochter im Dunklen blieb, sagte der Bewerber weitere Gespräche ab.

Kurz nach der Absage meldete sich die Tochter, um den Bewerber zur Unterschrift unter einen nachgebesserten Vertrag zu bewegen. Der Kandidat blieb bei seiner Absage. Er hielt die Schließung des Zweigwerkes für vernünftig, war sich aber nicht im Klaren, ob die Tochter ihre Auffassung durchsetzen oder wider die wirtschaftliche Vernunft klein beigeben werde.

Schließung des Zweigwerks

Die beste Entscheidung wäre ohnehin die Schließung gewesen, bevor der neue Leiter des Zweigwerkes eingestellt worden war. Sie wäre so rechtzeitig abgewickelt worden, dass den Mitarbeitern Arbeitsplätze im Hauptwerk am selben Standort hätten angeboten werden können. Sie wären nicht die Dummen bei der Schließung des Zweigwerkes gewesen. Ob diese Option auch künftig noch Bestand hätte, hing von der Höhe der zu erwartenden Verluste ab.

So aber konnte der Bewerber nicht einschätzen, ob sich nach Unterzeichnung des Anstellungsvertrages doch bewahrheitete: Blut ist dicker als wirtschaftliche Vernunft.

Call-to-Action

Zur Ergänzung dieser Ausführungen wird die Lektüre der beiden Beraterbriefe „Blut ist dicker als Wasser“, November 1996, und „Alter allein reicht nicht“, Juni 2015, auf www.kettembeil.de empfohlen.

Fazit

Die Vater-Tochter-Beziehung kann für die Nachfolge in Familienunternehmen eine eigene Rolle spielen, die von der Vater-Sohn-Beziehung deutlich abweicht. Töchter neigen dazu, Entscheidungen ihrer Väter im fortgeschrittenen Alter mitzutragen, die sich gegen die Firma und die Mitarbeiter richten. Die psychologischen Hintergründe waren nicht zu erörtern, sondern die Fakten aufzuzeigen.

Im ersten Fall, in dem die Tochter als Nachfolgerin sogar von ihrem eigenen Sohn nach Überzeugung ihres Vaters übergangen werden sollte, führte die Untätigkeit zum Verkauf des Unternehmens. Die Verkäufer erhielten einen Kaufpreis,. Die Mitarbeiter waren die Dummen, weil sie am Ende doch ihre Arbeitsplätze verloren.

Im zweiten Fall, in dem es sogar zur „Entmündigung“ des Vaters kam, war die Folge die Insolvenz. Die Untätigkeit der Tochter schädigte zwar die Eigentümer, aber wieder waren die Mitarbeiter die Dummen.

Im dritten Fall deutete sich eine mögliche Konstellation wie in den beiden vorigen Beispielen an. Der Bewerber, dem der zweite Fall bekannt war, zog rechtzeitig die „Reißleine“. Er brach die Verhandlungen ab, auch wenn die künftigen Arbeitgeber durch Vertragsveränderungen alles daran setzten, ihn für ihr Unternehmen zu gewinnen; denn er erkannte, dass ein verbesserter Anstellungsvertrag die Probleme der Zukunft nicht lösen konnte; denn Blut ist dicker als wirtschaftliche Vernunft.


0 Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert