Eine Stecknadel nähert sich einem Luftballon, an dem ein Business-Mann mit Aktentasche fliegend hängt.

Eine geplatzte Scheinselbstständigkeit kann für die Betroffenen unangenehme Folgen haben. Die Folgen richten sich nach der Art der geplatzten Scheinselbstständigkeit. Ist sie eine reale Scheinselbstständigkeit, treffen die Auswirkungen vorwiegend den zum Arbeitgeber gewordenen Auftraggeber. Seit Neuestem ist aber auch der Arbeitnehmer vor Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung nicht geschützt. Bei einer vermeintlichen Scheinselbstständigkeit wird der Scheinselbstständige mit allen Vorteilen und Nachteilen zum arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen. Im Falle einer befürchteten Scheinselbstständigkeit verliert der Auftragnehmer weitere Folgeaufträge. In den letzten Jahren, insbesondere während der Corona-Pandemie, haben die Scheinselbstständigkeit und ihre Aufklärungsquote stark zugelegt. Viele Gründer finden sich unter den Scheinselbstständigen.

Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit

Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit sind gegeneinander abzugrenzen, damit die Nichtselbstständigkeit der geplatzten Scheinselbstständigkeit deutlich wird.

Legaldefinition der Scheinselbstständigkeit

Die Legaldefinition der Nichtselbstständigkeit ist die Grundlage für die legale Bestimmung der Scheinselbstständigkeit.

Die Nichtselbstständigkeit wird über die nichtselbstständige Arbeit definiert, die im Rechtsjargon „Beschäftigung“ heißt. „Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.“ (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV)). Zwei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Beschäftigung werden im Folgesatz gleich mitgeliefert: „Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“

Ein weisungsgebundener Beschäftigter, der in die Firma des Auftraggebers eingegliedert ist, ist somit kein Selbstständiger. Gibt er sich dennoch den Anschein, ist er laut Gesetz ein Scheinselbstständiger. Diese Legaldefinition gilt auch für Gründer.

Weitere Anhaltspunkte für die Scheinselbstständigkeit

Zur Beurteilung, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, haben sich noch weitere Anhaltspunkte ergeben. Sie verweisen darauf, dass ein Scheinselbstständiger

  1. nur einen Auftraggeber hat
  2. keine Angestellten hat
  3. nicht in eigenen Geschäftsräumen arbeitet
  4. auf Werbung verzichtet
  5. keinen Internetauftritt hat
  6. über seine Arbeitskraft nicht verfügen darf
  7. seine Arbeitszeit nicht selbst bestimmen darf
  8. mehr als 50 Prozent seiner Leistungskraft für nur ein Projekt aufwendet
  9. Aufträge nicht ablehnen darf.

Diese Anhaltspunkte ergänzen oder präzisieren die Legaldefinition zur Bestimmung einer Scheinselbstständigkeit.

Problemgruppen in der Scheinselbstständigkeit

Trotz Legaldefinition und weiterer Anhaltspunkte haben sich Problemgruppen zur Bestimmung ihrer Scheinselbstständigkeit ergeben.

Freie Journalisten als Problemgruppe

Freie Journalistenkönnen zur Erledigung ihrer Aufgaben in die Organisation von Funk und Fernsehen oder Presseeingebunden oder von Weisungen abhängig sein. Die Legaldefinition reicht also nicht aus, den Grad ihrer Abhängigkeit als Kriterium für ihre Scheinselbstständigkeit zweifelsfrei zu bestimmen. Deshalb ist ein weiterer Anhaltspunkt die Eingliederung der Journalisten in die Dienstpläne ihrer Aufraggeber.

Handelsvertreter als Problemgruppe

Handelsvertreter„ist, wer als selbstständiger Gewerbetreibender … ständig damit betraut ist, … Geschäfte zu vermitteln. …Selbstständig ist, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.“ (§ 84 Abs. 1 Handelsgesetzbuch (HGB)). Für die Selbstständigkeit des Handelsvertreters gilt also eine eigene Legaldefinition, die sogar gegen eine unselbstständige Variante gesetzlich abgegrenzt wird: „Wer, ohne selbstständig im Sinne des Absatzes 1 zu sein, …, gilt als Angestellter.“ (§ 84 Abs. 2 HGB).

Damit ist der Mitarbeiter im Außendienst bereits dann Angestellter, wenn er seine Tätigkeit und Arbeitszeit nicht frei bestimmen kann. Es ist also rechtlich ohne Belang, ob andere Kriterien für seine Selbstständigkeit sprechen.

In der Praxis klafft aber eine Lücke zwischen den Vereinbarungen im Handelsvertretervertrag und ihren Ausführungen in der Tagesarbeit. Diese Lücke macht den Handelsvertreter in der Scheinselbstständigkeit zur Problemgruppe. Sie ist nur durch eine Beschäftigung mit dem konkreten Einzelfall zu schließen ist.

Organe von Kapitalgesellschaften als Problemgruppe

Organe von Kapitalgesellschaften werden als Problemgruppe in der Scheinselbstständigkeit angesehen. Sie können aber keine Scheinselbstständigen sein, wie im Folgenden gezeigt wird.

Ursprung in der Gründerszene

Die irrige Ansicht entstammt ursprünglich der Szene der Gründer, die ihre Existenzgründung mit einer Aktiengesellschaft (AG), Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG (haftungsbeschränkt)) absichern wollen.

Natürliche Personen als Vertragspartner

Verträge können nur zwischen natürlichen Personen, aber nicht mit juristischen Personen geschlossen werden; denn juristische Personen wie die Kapitalgesellschaften sind rechtliche Fiktionen. Deshalb werden sie durch ihre Organe, also die Geschäftsführer, vertreten. Die Geschäftsführer als natürliche Personen vereinbaren die Dienstleistungen nicht für sich selbst, sondern für die Kapitalgesellschaften.

Natürliche Personen als Organe von Kapitalgesellschaften

Die natürliche Personen, die Organe von Kapitalgesellschaften sind, verpflichten sich nicht zusätzlich persönlich neben ihren Arbeitgebern zu den Dienstleistungen. Sie gehen also keine doppelte Verpflichtung ein.

Kapitalgesellschaften und deren Organe kommen aber als Scheinselbstständige nicht in Frage. Das gilt auch für Organe als ihre gesetzlichen Vertreter.

Deshalb können diese natürlichen Personen mangels persönlicher Verpflichtung und als Organe keine Scheinselbstständigen sein.

Zusammenfassung zu Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit

Die Beurteilung, ob eine Selbstständigkeit oder eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, muss einen Umweg über die Feststellung der Beschäftigung nehmen. Sie ist eine unselbstständige Tätigkeit, die gesetzlich definiert ist. Sie basiert auf der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung in die Arbeitsorganisation. Daneben haben sich weitere Anhaltspunkte zur Bestimmung von Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit gebildet. Trotzdem tauchen Problemgruppen auf, deren Einschätzung einer genaueren Analyse bedarf.

Arten der Scheinselbstständigkeit

Drei Arten von Scheinselbstständigkeit sind zu unterscheiden, nämlich die reale, die vermeintliche und die befürchtete Scheinselbstständigkeit. Die geplatzte Scheinselbstständigkeit ist für jede der drei Arten gesondert zu betrachten.

Reale Scheinselbstständigkeit

Die reale Scheinselbstständigkeit ist dadurch erkennbar, dass sie gegen die Anhaltspunkte zur Beurteilung der Selbstständigkeit verstößt. Ihre Rechtsfolgen treten aber erst ein, wenn sie rechtskräftig festgestellt worden ist. Dann wird sie zur geplatzten Scheinselbstständigkeit, an deren Stelle mit sofortiger Wirkung ein auf den Vertragsbeginn rückwirkendes Arbeitsverhältnis tritt. Die Scheinselbstständigkeit ist beendet.

Rechtsfolgen für den Auftraggeber beim Platzen der realen Scheinselbstständigkeit

Die Rechtsfolgen für den Auftraggeber sind:

  1. Der Auftraggeber wird zum Arbeitgeber. Er verliert damit alle Vorteile aus dem Dienstleistungsvertrag, die er sich unter Umgehung des Arbeitsverhältnisses erschlichen hat.
  2. Er haftet gem. § 28e SGB IV für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge, zu denen auch Säumniszuschläge und Zinsen für gestundete Beiträge gehören. Die Verjährungsfrist beträgt 30 Jahre. Wegen Vorenthalten von Arbeitsentgelt ist der Arbeitgeber gem. § 266a Abs.1 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar. So kann er mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren belangt werden.
  3. In der Haftung für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge befindet sich der Arbeitgeber allerdings in einer Haftungsgemeinschaft mit dem Arbeitnehmer. Doch sein Rückgriff auf den Arbeitnehmer ist stark eingeschränkt. „Ein unterbliebener Abzug darf nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden.“ (§ 28g SGB IV)

Rechtsfolgen für den Auftragnehmer beim Platzen der realen Scheinselbstständigkeit

Korrespondierend zu den Rechtsfolgen für den Auftraggeber sind die Rechtsfolgen für den Auftragnehmer.

Rechtsfolge 1: Der Auftragnehmer wird zum Arbeitnehmer mit den Wirkungen:

  1. Voller Lohn oder Gehalt werden gezahlt. Es herrscht Tarifbindung. Schluss ist also mit der in der Praxis üblichen Mini-Vergütung oder Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohnes.
  2. Sozialversicherungspflicht tritt ein, an der sich der Arbeitgeber beteiligt.
  3. Urlaub wird gewährt.
  4. Urlaubsgeld ist zu zahlen.
  5. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle und an Feiertagen ist zu gewähren.
  6. Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen gem. § 622 BGB sind einzuhalten.

Rechtsfolge 2: Ungerechtfertigte Bereicherung des Arbeitnehmers

Nach jüngster Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 26. Juni 2019 (Az: 5 AZR 178/18) ist der Arbeitnehmer zur Herausgabe von ungerechtfertigter Bereicherung gem. §§ 812 BGB und §§ 814 BGB an seinen Auftraggeber/Arbeitgeber verpflichtet. Ein scheinselbstständiger IT-Berater hatte von seinem Auftraggeber einen hohen Stundensatz erhalten. Das neue Arbeitsverhältnis verpflichtete aber seinen zum Arbeitgeber gewordenen Auftraggeber nur zu einem deutlich niedrigeren Monatsgehalt. Die sich daraus bis zu Vertragsbeginn rückwirkend ergebende Differenz musste der zum Arbeitnehmer mutierte Auftragnehmer als ungerechtfertigte Bereicherung herausgeben.

Zusammenfassung zur realen Scheinselbstständigkeit

Die reale Scheinselbstständigkeit ist diejenige Scheinselbstständigkeit, die in der Praxis meistens anzutreffen ist. Wird sie zur geplatzten Scheinselbstständigkeit, hat sie als Arbeitsverhältnis unterschiedliche Rechtsfolgen für den neuen Arbeitgeber und den neuen Arbeitnehmer.

Der Arbeitgeber verliert alle als Auftraggeber erschlichenen Vorteile und ist sogar wegen nicht gezahlter Gesamtsozialversicherungsbeiträge strafbar. Der Arbeitnehmer wird zum Gewinner der geplatzten Scheinselbstständigkeit, muss aber die als Auftragnehmer als überhöht erhaltene Vergütung wegen ungerechtfertigter Bereicherung an seinen Arbeitgeber herausgeben.

Vermeintliche Scheinselbstständigkeit

Die vermeintliche Scheinselbstständigkeit unterscheidet sich von der realen Scheinselbstständigkeit dadurch, dass sie eigentlich gar keine Scheinselbstständigkeit ist.

Von der vermeintlichen Scheinselbstständigkeit zur arbeitnehmerähnlichen Selbstständigkeit

Die vermeintliche Scheinselbstständigkeit wird in der Regel erst während der Prüfung eines Dienstleistungsverhältnisses auf Scheinselbstständigkeit entdeckt.

Die Rechtsfolge des Platzens ist aber komplizierter als bei der realen Scheinselbstständigkeit. Während bei der realen Scheinselbstständigkeit die Unselbstständigkeit im Arbeitsverhältnis die Selbstständigkeit ablöst, bleibt die Selbstständigkeit der vermeintlichen geplatzten Scheinselbstständigkeit erhalten.

Die wirtschaftliche Unabhängigkeit wird zwar bestätigt, aber eingeschränkt. Die Prüfung kommt nämlich zu dem Ergebnis, dass zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das einem Arbeitsverhältnis ähnelt. Das Platzen der vermeintlichen Scheinselbstständigkeit führt deshalb in die arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit. 

Rentenversicherungsrechtliche arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit

Die arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit zählt zu den Ausnahmen der Selbstständigkeit, für die generell Rentenversicherungspflicht besteht. Normalerweise sind Selbstständige nämlich nicht rentenversicherungspflichtig.

Rentenversicherungspflichtige Selbstständigkeit

Rentenversicherungspflichtige Selbstständige sind nach § 2 Satz Nr. 1 – 8 SGB IV:

  1. Lehrer und Erzieher
  2. Pflegepersonal
  3. Hebammen
  4. Seelotsen
  5. Künstler und Publizisten
  6. Hausgewerbetreibende
  7. Küstenschifffahrt, Küstenfischer
  8. Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind.

Ergänzend definiert § 2 Satz Nr. 9 SGB IV die arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen als

„Personen, die

a) im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und

b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; …“

„Auf Dauer“ lässt rechtlich auch zeitliche Ausreißer zu; „im Wesentlichen für einen Auftraggeber“ wird nach der 5/6-Faustregel interpretiert. Sie besagt, dass etwa 5/6 der Einkünfte im Jahr von einem Auftraggeber stammen. Bei der Bemessung können auch das Vorjahr und Prognosen für das Folgejahr berücksichtigt werden.

Besonderheit für die arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit

Die Besonderheit für die arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit liegt im Zeitpunkt, ab dem die Zahlungspflicht in die Rentenkasse bekannt ist.

Der in den Nr. 1 – 8 beschriebene Personenkreis kennt bereits bei seiner Existenzgründung seine Pflicht zur Zahlung in die Rentenversicherung, da sie gesetzlich normiert ist.

Im Gegensatz dazu erkennen die arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen (Nr. 9) ihre Zahlungspflicht nicht unbedingt sofort. Sie ergibt sich aus den aufgeführten Besonderheiten.

  • Beim arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen beginnt die Zahlungspflicht sofort mit der Gründung, wenn er nicht weiß, ob seine Selbstständigkeit arbeitnehmerähnlich ist,
  • Wenn er bei der Gründung unsicher ist, kann er als Selbstständiger freiwillig einzahlen.
  • Fällt die Scheinselbstständigkeit auf, ohne dass in die Versicherung eingezahlt worden ist, beginnt die Zahlungspflicht mit der Aufdeckung. Zugleich setzt die Nachzahlungsverpflichtung ein.
  • Die Pflicht zur Nachzahlung gem. § 25 SGB IV verjährt in vier Jahren; doch können daraus je nach Feststellungsdatum tatsächlich auch fünf Jahre werden. Die dagegen ins Feld geführte Schonfrist wird nur auf Antrag gewährt und gilt nicht rückwirkend.

Daraus folgt: Die oft auch von Steuerberaten nur spärlich bedachte Feststellung der arbeitnehmerähnlichen Selbstständigkeit kann den Selbstständigen oder Gründer in finanzielle Schwierigkeiten bringen.

Arbeitsrechtliche Selbstständigkeit

Im Arbeitsrecht wird der arbeitnehmerähnliche Selbstständige eine arbeitnehmerähnliche Person genannt. Sie ist zwar wirtschaftlich, aber nicht persönlich abhängig, da sie nicht in die Betriebsorganisation eingegliedert ist.

Für die arbeitnehmerähnliche Person gilt ein Jahresurlaub gem. § 2 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Er beträgt jährlich mindestens 24 Werktage (§ 3 Abs. 1 BurlG). Da das Gesetz eine Arbeitswoche von sechs Werktagen voraussetzt, beträgt der Jahresurlaub 20 Werktage bei einer Arbeitswoche von 20 Werktagen.

Die Fristen für eine Kündigung des Dienstverhältnisses mit einer arbeitnehmerähnlichen Person richten sich allerdings nach § 621 BGB und nicht nach den Kündigungsfristen für Arbeitnehmer gem. § 622 BGB.

Ein vertragliches Wettbewerbsverbot ist nur wirksam, wenn eine Karenz gem. § 7 Handelsgesetzbuch (HGB) vereinbart worden ist.

Kundenschutzklauseln sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BAG 16.08.1988 Az: 3AZR 664/87) grundsätzlich unzulässig.

Andere Kodifikationen

Andere Kodifikationen zur arbeitnehmerähnlichen Person finden sich im

  1. Arbeitnehmerschutzgesetz § 2 Abs. 2 Nr. 3 ArbSchG
  2. Tarifvertragsgesetz § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG
  3. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AGG
  4. Arbeitsgerichtsgesetz § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.

Zusammenfassung zur vermeintlichen Scheinselbstständigkeit

Die vermeintliche Scheinselbstständigkeit ist nur vermeintlich und eben nicht real. Sobald sie diagnostiziert ist, wird sie auch nicht zum Arbeitsverhältnis, sondern zur arbeitnehmerähnlichen Selbstständigkeit. Im Rentenversicherungsrecht kann sie zur Tücke auch für Gründer werden, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt wird. Deshalb können saftige Nachzahlungen fällig werden. Im Arbeitsrecht heißt der arbeitnehmerähnliche Selbstständige arbeitnehmerähnliche Person, die in vielen, aber nicht allen Fällen die Schutzrechte der Arbeitnehmer genießt. Auch andere Rechtsgebiete berücksichtigen in ihren Kodifikationen die wirtschaftliche Abhängigkeit der arbeitnehmerähnlichen Person. Sie stellen also den arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen besser als den normalen Selbstständigen.

Befürchtete Scheinselbstständigkeit

Die befürchtete Scheinselbstständigkeit ist im Gegensatz zur realen Scheinselbstständigkeit noch nicht Wirklichkeit geworden. Ihr Verhältnis zur vermeintlichen Scheinselbstständigkeit lässt sich mangels Kriterien nicht bestimmen. Auch ist unklar, ob aus ihrer Verwirklichung eine reale oder vermeintliche Scheinselbstständigkeit entstehen wird. Diese Undurchsichtigkeit betrifft auch eine geplatzte Scheinselbstständigkeit.

Deshalb bietet sich ein Fallbeispiel zur Erläuterung dieser komplizierten Beziehungen an.

Fallbeispiel zur befürchteten Scheinselbstständigkeit

Ein stellenloser Bewerber war auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz innerhalb seiner angestammten Branche. Um seine finanzielle Situation aufzubessern, nahm er Beratungsaufträge an. Ein branchenfremdes Unternehmen beauftrage ihn mit der Digitalisierung der Unternehmenskommunikation. Die Vergütung lag auf einem hohen Niveau, so dass der Bewerber in die Sozialversicherung einzahlte. Zur Erfüllung seiner Leistung arbeitete er im Homeoffice und vor Ort. Nach dem erfolgreichen und zufriedenstellenden Abschluss zweier Projekte erhielt der Bewerber den Folgeauftrag nicht mehr. Zur Erläuterung führte die Firma an, ein drittes Dienstleistungsverhältnis könne in einer Scheinselbstständigkeit münden. Eine Begründung für ihre Rechtsauffassung nannte sie nicht.

Beurteilung des Fallbeispiels zur befürchteten Scheinselbstständigkeit

Eine umfassende Beurteilung des Fallbeispiels ist unmöglich, weil die Firma ihren Entschluss zur weiteren Beauftragung des Bewerbers nicht begründet. So ist nicht klar, welche Art der Scheinselbständigkeit sie befürchtet.

Im Fallbeispiel vermutete reale Scheinselbstständigkeit

Eine geplatzte reale Scheinselbstständigkeit könnte vorliegen, wenn Anhaltspunkte darauf hindeuten. Ob der Bewerber seine Dienstleistung weisungsgebunden und in die Arbeitsorganisation des Unternehmens erbracht hat, ist nicht ersichtlich. Bekannt ist nur, dass er im Homeoffice und bei dem Unternehmen vor Ort tätig war.

Die Befürchtung der Firma wäre außerdem berechtigt, wenn sie für die Nachteile einer geplatzten Scheinselbstständigkeit aufzukommen hätte. Arbeitsrechtlich wäre es der Fall; aber eine Haftung für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge scheidet aus, weil der Bewerber sie bereits bezahlt hat. Dagegen könnte dem Unternehmen sogar ein Erstattungsanspruch zu viel gezahlter Honorare zustehen.

Im Vergleich zu einer Festanstellung wäre das Risiko einer geplatzten Scheinselbstständigkeit gering. Fraglich, aber nicht auszuschließen ist, ob oder dass eine Festanstellung durch den Bewerber beabsichtigt ist. Dagegen spricht seine Suche nach einem neuen Job innerhalb seiner angestammtem Branche. Die Beratungsaufträge dienten nur seinem Broterwerb.

Im Fallbeispiel vermutete vermeintliche Scheinselbstständigkeit

Befürchtet das Unternehmen dagegen eine geplatzte vermeintliche Scheinselbstständigkeit, will es eine arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit vermeiden. Das Risiko wäre allerdings überschaubar; denn die Arbeitnehmerähnlichkeit muss nicht zu erheblichen Belastungen des Unternehmens führen.

Ergebnis zum Fallbeispiel zur befürchteten Scheinselbstständigkeit

Im Fallbeispiel liegt keine Begründung für die befürchtete Scheinselbstständigkeit vor. Deshalb ist einerseits von Vermutungen, andererseits von in Frage kommenden Anhaltspunkten auszugehen. Beide Kriterien lassen das Risiko einer geplatzten Scheinselbstständigkeit gering erscheinen. Das Unternehmen scheint sie allerdings wie der Teufel das Weihwasser zu fürchten. Unstreitig aber ist, der Bewerber verliert seine Einnahmequelle.

Zusammenfassung zur befürchteten Scheinselbstständigkeit

Die befürchtete Scheinselbstständigkeit kann mit ihrem Platzen sowohl in die reale Scheinselbstständigkeit als auch in die vermeintliche Scheinselbstständigkeit münden. Die Folgen können gravierend sein. Allerdings können ihr auch übertriebene Befürchtungen zugrunde liegen, wie das Fallbespiel zeigt.

Resümee zu den drei Arten der Scheinselbstständigkeit

Die Scheinselbstständigkeit ist in drei Arten untergliedert.

Die reale Scheinselbstständigkeit führt mit ihrem Platzen direkt in ein Arbeitsverhältnis. Sie löst gravierende Haftungsfolgen für den zum Arbeitgeber gewordenen Auftraggeber.

Wenn die vermeintliche Scheinselbstständigkeit platzt, bleibt die Selbstständigkeit erhalten; sie wird dann arbeitnehmerähnlich.

Welche Folgen die befürchtete Scheinselbstständigkeit mit ihrem Platzen auslöst, ist schwer kalkulierbar. Sie kann zur realen Scheinselbstständigkeit oder zur vermeintlichen Scheinselbstständigkeit mutieren. Häufig ist sie nur eine Vorsichtsmaßnahme des Unternehmens, die allerdings den Auftragnehmer die Einnahmequelle kostet.

Folgen der geplatzten Scheinselbstständigkeit

Wenn eine reale Scheinselbstständigkeit platzt, mündet sie in ein Arbeitsverhältnis. Nicht entrichtete Sozialversicherungsbeiträge hat der Auftraggeber nachzuzahlen und ist wegen Hinterziehung sogar strafbar.

Die vermeintliche Scheinselbstständigkeit bewirkt nach dem Platzen eine arbeitnehmerähnliche Scheinselbstständigkeit.

Die befürchtete Scheinselbstständigkeit kann durchaus einen realen Hintergrund haben. Oft malt sie sich übertriebene Risiken aus. Ist sie geplatzt, sind die Auftragnehmer die Leidtragenden, weil sie ihre Auftraggeber verlieren.

Wie auch immer, die Scheinselbstständigkeit ist kein Kavaliersdelikt. Deshalb muss sie zum Platzen gebracht werden.

Call-to-Action

Zur ergänzenden Lektüre sei auf die Blog-Beiträge „Probearbeit – die neue Geldgrube“ und „Verantwortlichkeit der Recruiter“ hingewiesen.

Fazit

Die geplatzte Scheinselbstständigkeit und ihre Folgen bedürfen gerade in Zeiten der Corona-Pandemie besonderer Aufmerksamkeit; denn die Zahl der Scheinselbstständigen hat deutlich zugenommen. Dafür ist oft auch ein Drängen der Auftraggeber verantwortlich. Leidtragende sind die Auftragnehmer, die ihre Leistungen ohne arbeitsrechtlichen Schutz zu Spottpreisen erbringen müssen.

Damit eine Scheinselbstständigkeit platzen kann, ist sie als fehlerhafte Selbstständigkeit zu identifizieren. Zur Identifikation hat der Gesetzgeber Anhaltspunkte kodifiziert, die durch die Praxis um weitere ergänzt worden sind. Dennoch haben sich Problemgruppen herauskristallisiert, die der Analyse im Einzelfall bedürfen.

Drei Arten der Scheinselbstständigkeit sind zu unterscheiden, da sie verschieden auf ein Platzen reagieren. Die geplatzte reale Scheinselbstständigkeit geht in ein Arbeitsverhältnis über, das die strafrechtliche Verfolgung des Auftraggebers wegen Hinterziehung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nach sich ziehen kann. Von der geplatzten vermeintlichen Scheinselbstständigkeit bleibt eine sozialversicherungspflichtige arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit zurück. Die geplatzte befürchtete Scheinselbstständigkeit entspringt der Vorsorge risikoscheuer Auftraggeber.

Die Scheinselbstständigkeit ist kein Kavaliersdelikt. Sie ist mit allen Mitteln zu bekämpfen, damit sie zur geplatzten Scheinselbstständigkeit wird.

Categories: Arbeitsleben

1 Comment

Richard · 25. September 2021 at 16:58

Das Thema „Scheinselbständigkeit“ ist bereits in tausenden Urteilen bis zum Erbrechen behandelt und geprüft worden. Denn beide Seiten, der Geschäftsherr und der Abhängige, denken sich immer neue Varianten aus, um die Arbeitnehmereigenschaft zu umgehen.

Zudem ist der sog. Scheinselbständige häufig selbst Unternehmer und entsendet seine Arbeitnehmer in bestimmte Funktionen eines anderen Unternehmens. Bei Daimler z.B. arbeiten Fremdfirmen, in den Betrieb von Daimler integriert, mit zum Teil tausenden von Mitarbeitern. Die Schlaumeier der entsendeten Mitarbeiter finden das alles in Ordnung bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie vom entsendenden Unternehmen gekündigt werden. Dann meinen sie plötzlich, sie seien beim Daimler beschäftigt gewesen und haben damit auch beim Arbeitsgericht Erfolg.

M. E. kommt unsere Rechtsprechung, teilweise ideologisch infiziert, mit der Entwicklung der arbeitsteiligen Wirtschaft nicht mehr mit. Heute, wie man so schön sagt, versuchen viele Unternehmen, sich auf das Corebusiness zu konzentrieren. Was ist nun das Kernbusiness von Daimler? Der Entwurf? Die Fertigung der Motoren? Die Pressung der Bleche? Das Flechten der Kabelbäume? Die Bandanlage für den Zusammenbau? Der Zusammenbau? Der Verkauf?

Ein Unternehmen, das ich lange betreut habe, lebt davon, Teilfunktionen bei dritten Unternehmen auszufüllen, wie z.B. den Versand und die Verpackung. Ja, und wie ist es mit den Fahrern von BoFrost oder Eismann?

Es gibt Beispiele en masse, wo man manchen gegen seinen erklärten Willen zum Arbeitnehmer machen würde. Und das Problem? Das Problem sind unsere viel zu hohen Sozialversicherungsbeiträge, die durch dummes Regierungshandeln immer weiter in die Höhe schießen.

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