Das Lernen ist im Gesellschaftsleben eine grundlegende Tätigkeit. Sie ermöglicht, sich dem im Wandel befindlichen Gesellschaftsleben anzupassen und auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Es ist außerdem eine unabdingbare Voraussetzung für Erfolg. Eine wirksame Methode zum Lernen ist die Neuroplastizität (1). Sie sorgt für ein ständig ausbaufähiges Gehirn. Das Lernen nach Feldenkrais (2) ist das organische Lernen. Es folgt wie Atmen organisch den körperlichen und seelischen Bedürfnissen und Erfordernissen. Das Überlebenslernen (3) ist das Lernen von Verhaltensweisen, das Extremsituationen zu überwinden hilft. Das Lernen – im Arbeitsleben (4) kann mit den anderen drei Methoden ins Ziel kommen, also erfolgreich sein.
Lernen
Lernen ist die Fähigkeit, Wissen zu erwerben, das zur Änderung des Verhaltens führt. Diese Definition ist die die breiteste Definition, die pädagogisch relevant ist. Das Lernen ist außerdem die Folge einer vorausgegangenen dauerhaften Erfahrung (Werner Correll, „Einführung in die pädagogische Psychologie“, S.40).
Das Lernen ist über die Pädagogik hinaus ein Vorgang im Gesellschaftsleben. Er sorgt für notwendige Verhaltensänderungen, indem er vorausgegangene Erfahrungen an den gesellschaftlichen Fortschritt anpasst.
Lernen im Allgemeinen
Das Lernen im Allgemeinen besteht im Wesentlichen aus den drei Faktoren Assoziation, Motivation und Verstärkung im Lernprozess (Correll, ebda., S.41 ff).
Assoziation bezeichnet die räumlich-zeitliche Verbindung von zwei Erfahrungen im Lernvorgang. Die Wiederholung dient der Verstärkung im Lernprozess.
Motivation ist eine Grundvoraussetzung beim Lernen. Tierversuche haben gezeigt, dass „zufriedene“ Tiere nicht zum Lernen bereit sind. Deshalb werden Versuchstiere nur zu 80 Prozent gefüttert. Wie diese Situation beim Menschen zu erzeugen ist, hat der US-amerikanische Psychologe Edward Lee Thorndike (1874 – 1949) in dem „Effektgesetz“ seiner Lerntheorie beschrieben.
Verstärkung ist bereits in der Assoziation und in der Motivation enthalten. „Wir haben also nicht die Möglichkeit, eine Verstärkung als solche zu betrachten“ (Correll, ebda., S. 52). Doch in der Verbindung mit den beiden anderen Faktoren können positive Verstärkung und negative Verstärkung wahrgenommen werden. Daraus lassen sich ihre Auswirkungen auf die Verhaltensänderungen durch Lernen ableiten.
Lebenslanges Lernen
Lebenslanges Lernen war schon Seneca, Seneca dem Jüngeren, (1 – 65), ein Bedürfnis: „leben aber muss man das ganze Leben hindurch lernen.“ („Von der Kürze des Lebens“, S. 152) „Ich zeige durch mein Beispiel, dass man auch im Alter noch zu lernen hat.“ (Epistulae morales ad Lucilium, 76, 1-4)
Wie recht er hatte; denn sein Leben ist ein Beispiel dafür, dass lebenslanges Lernen und Lernen im Arbeitsleben identisch sein können. Sein Zögling, der römische Kaiser Nero (37 – 68), bezichtigte ihn fälschlich der Verschwörung und wies ihn an, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen. So endeten das Arbeitsleben und das lebenslange Lernen von Seneca gleichzeitig.
Lebenslanges Lernen wurde 1962 als lebensbegleitendes Lernen von der UNESCO ausgerufen.
Lernen mit Neuroplastizität
Das Lernen mit Neuroplastizität baut auf der Plastizität des Gehirns und der Erkenntnis auf, dass sich die Neuronen im Gehirn den gestellten Aufgaben anpassen. Diese Erkenntnis hat der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther (* 1951) „atemberaubend“ genannt: „Dass unser Gehirn nicht durch genetische Anlagen programmiert wird, zeitlebens ausbaufähig, also lernfähig bleibt, ist eine atemberaubende Erkenntnis.“ („Lieblosigkeit macht krank“, S. 23)
Diese Ausbaufähigkeit verschafft dem Lernen bewegliche oder starre Ergebnisse. Je häufiger sich die Ergebnisse durch Wiederholen bestätigen, desto starrer werden sie. Die Synapsenverbindungen verstärken sich, oder im Gehirn entstehen neue Areale. Doch kein Vorteil ohne Nachteil.
Neuroplastisches Paradoxon
Neuroplastisches Paradoxon heißt ein solcher Nachteil. Danach verändert Lernen das Gehirn nicht nur bei der Akzeptanz von positiven Verhaltensweisen, sondern auch von schlechten Angewohnheiten. Außerdem werden die schlechten Angewohnheiten genauso schwer wieder abgelegt, wie positive Verhaltensweisen stabil erhalten bleiben.
Ursache vom neuroplastischen Paradoxon
Ursache vom neuroplastischen Paradoxon ist der Konkurrenzdruck, dem die Neuronen ausgesetzt sind. Die Neuronen kämpfen zur Lösung ihrer Aufgaben um jeden Millimeter Raum im Gehirn. Werden Fertigkeiten vom Gehirn lange Zeit nicht abgefragt, bilden sich deren Neuronen zugunsten des Aufbaus neuer Neuronen für andere Fertigkeiten zurück. Wenn sie nicht mehr gebraucht werden, sterben sie unwiederbringlich.
Deshalb suchen schlechte Angewohnheiten ihre Areale zu verteidigen, indem sie ihre Neuronen nicht nur kontrollieren, sondern mit Wiederholungen verstärken. Sie verhindern so, dass sie ihren Platz zugunsten guter Verhaltensweisen verlieren.
Abgewöhnung schlechter Verhaltensweisen
Die Abgewöhnung schlechter Verhaltensweisen ist also nicht einfach, selbst wenn man daran interessiert ist. Die Statistik nennt für die gezielte Abgewöhnung eines schlechten Verhaltens oder eines falschen Lernergebnisses mindestens 21 Tage. Positiv dagegen ist dieser Befund, wenn versehentlich richtiges Wissen zur Disposition gestellt wird.
Erfolgreicher ist es häufig, auf die Abgewöhnung ganz zu verzichten. Besser ist es, eine neue die schlechte Gewohnheit positiv ersetzende Verhaltensweise zu erlernen und durch Wiederholen zu verstärken. Die schlechte Gewohnheit wird nicht mehr aktiviert und verkümmert. Ihre Neuronen unterliegen im Konkurrenzkampf den aktiveren Nervenzellen und sterben unwiederbringlich ab. Das frei gewordenen Areal des Gehirns wird unter den Nachbarn neu verteilt.
Lernen von Kindesbeinen an
Deshalb ist Lernen schon von Kindesbeinen an, also nicht nur lebenslang, wichtig. „Es ist besser, etwas von Anfang an richtig zu lernen, ehe schlechte Angewohnheiten einen Wettbewerbsvorteil bekommen.“ (Norman Doidge, „Neustart im Kopf“, S. 74)
Maßnahmen zum neuroplastischen Lernen
Maßnahmen zum neuroplastischen Lernen sollen sicherstellen, dass die Neuroplastizität des Gehirns bis ins hohe Alter erhalten bleibt. Deshalb müssen diese Maßnahmen hohen Anforderungen genügen. Nicht alle Maßnahmen, die der geistigen Fitness dienen, erfüllen die hohen Ansprüche. Sie sind ungeeignet.
Von den geeigneten Maßnahmen zum neuroplastischen Lernen sind die beiden Maßnahmen Schach und Tanzen herauszugreifen:
- Tanzen ist die Verbindung von Musik zum Sport. Diese Verbindung fördert die Ausbaufähigkeit des Gehirns.
- Schach verlangt eine hohe Konzentration und eine den Regeln folgende Variabilität im Gehirn. Diese Kombination erhält die Ausbaufähigkeit des Gehirns.
Maßnahmen mit flow-Erlebnis
Maßnahmen mit flow-Erlebnis tragen verstärkt zum Lernen mit Neuroplastizität bei.
Flow-Erlebnis – Definition
Das flow-Erlebnis ist die Wahrnehmung eines Zustandes von Glücksgefühlen, das zur Leistung beflügelt. Der ungarische Psychologe Mihály Csíkszentmihályi (1934 – 2201) widmet sich diesem Thema in „Das flow-Erlebnis, Jenseits von Angst und Langweile: im Tun aufgehen“. Es hängt auch von der Fähigkeit ab, die Umwelt so zu gestalten, dass der flow eintreten kann.
Flow-Erlebnis – Tätigkeiten
An verschiedenen Tätigkeiten hat Csíkszentmihályi den flow untersucht, zu denen Schach und Rock-Tanzen zählen. Er hat sich also den geeigneten Maßnahmen zum Lernen mit Neuroplastizität Tanzen und Schach gewidmet.
Schach ist ein Wettbewerb, der intellektuelle Anstrengungen erfordert. Besonders die Konzentration auf die Wechsel von Zug und Gegenzug ist herausfordernd. Doch zugleich blendet sie Störfaktoren, die das flow-Erlebnis stören könnten.
Rock-Tanzen ist kein choreografisch streng geregeltes Tanzen. Es erlaubt den Tänzern spontane eigene Bewegungen, deren Kreativität ein flow-Erlebnis erzeugen kann. Die Interaktion mit Mittänzern ist entweder eine gewollte oder ausgeblendete Transsituation. Deshalb ist ihr Einfluss auf das flow-Erlebnis situationsbedingt und steuerbar. So „könnte man den Rock-Tanz als eine Aktivität mit „seichtem flow“ einordnen.“ (Csikszentmihalyi, ebda., S. 142)
Die Maßnahmen mit flow-Erlebnis wie Schach oder Rock-Tanzen stabilisieren das Lernen mit Neuroplastizität, indem sie Glücksgefühle aktivieren.
Feldenkrais
Feldenkrais ist der Name des Begründers einer nach ihm benannten Methode. Sie schafft durch „organisches Lernen“ eine „Bewußtheit durch Bewegung“ (Moshé Feldenkrais, „Entdeckung des Selbstverständlichen“, S. 57 ff und S. 131 ff).
Moshé Feldenkrais
Moshé Feldenkrais (1904 – 1984) war im Grunde ein Judoka, Kampfsportler und Judolehrer. Geboren in Russland, legte er sein Abitur in Tel Aviv ab und studierte Ingenieurwissenschaften an der Sorbonne in Paris. Danach arbeitete er im Forschungslabor der Nobelpreisträger Irène Joliot-Curie (1897 – 1956) und Frédéric Joliot-Curie (1900 – 1958).
Von 1940 – 1946 war er Mitarbeiter im Forschungslabor der Britischen Admiralität. In dieser Zeit las er Bücher zu Medizin, Chemie, Biologie, Neuropsychologie und Neurophysiologie, an denen er seine Methode ab 1952 entwickelte und ausrichtete. Einer seiner bekanntesten Schüler war der erste Premier Israels David Ben-Gurion (1886 – 1973).
Selektiv wissenschaftliches Arbeiten von Feldenkrais
Selektiv wissenschaftliches Arbeiten von Feldenkrais bildet die Grundlage für die Feldenkrais-Methode. Eine Nähe zum Behaviorismus ist unverkennbar.
Der Behaviorismus galt lange Zeit als auf das äußere Verhalten beschränkte Definition der Psychologie. Er interpretiert das Verhalten von Menschen und Tieren allein durch die Naturwissenschaften. Psychologie wird zur exakten Naturwissenschaft.
Verbindung zum Behaviorismus
Die Verbindung zum Behaviorismus fand Feldenkrais durch seine privaten Studien.
Begründer der Lerntheorien des Behaviorismus war der russische Physiologe und Nobelpreisträger Iwan Petrowitsch Pawlow (1849 -1936). Er hatte die Theorie der Konditionierung mit Versuchen an Hunden entwickelt. Die Lektüre von Büchern des Assistenten und späteren Nachfolgers, des Pathologen Alexei_Dmitrijewitsch_Speranski (1887 – 1961), hatte Feldenkrais in seinen behavioristischen Vermutungen bestärkt, die auf eigenen Erlebnissen basierten.
Feldenkrais und sein Beispiel vom verdrehten Knie
Feldenkrais zeigt in seinem Beispiel vom verdrehten Knie (ebda. S. 77 ff), dass der Behaviorismus der Neuroplastizität unterlegen ist.
Feldenkrais hatte sich das Knie eines Beines verdreht und konnte es nicht mehr richtig bewegen. Später fiel er auch auf das andere Bein und konnte es dann auch nicht mehr richtig bewegen. Da er beide Beine nicht mehr richtig bewegen konnte, legte er sich zur Regeneration ins Bett. Als er nach einiger Zeit aufzustehen versuchte, konnte er wider Erwarten das zuerst verletzte Bein voll bewegen.
Lösung 1 mit Behaviorismus
Die Lösung mit Behaviorismus fand Feldenkrais nach der Lektüre von Speranski „Grundlagen der Theorie der Medizin“, der sich auf Arbeiten von Pawlow bezog.
Eingriffe ins Rückenmark sind erforderlich, die den Körper konditionieren. So lernt er die alte Bewegung neu. Diese Eingriffe ins Rückenmark sind gemäß der „Reflextheorie der Bewegung“ des britischen Neurophysiologen und Nobelreisträgers Charles Scott Sherrington (1857 – 1952) externe Reize. Sie bestimmen die Bewegung und nicht die Signale aus dem Gehirn.
Die Neigung von Feldenkrais zum Behaviorismus scheint seinem selektiv wissenschaftlichen Arbeiten geschuldet zu sein.
Lösung 2 mit Neuroplastizität
Die Lösung mit Neuroplastizität geht auf den amerikanischen Verhaltensneurologen Edward Taub (* 1931) zurück. Er wies bereits 1981 anhand von Experimenten mit Affen nach, dass sich das Gehirn in Fällen, in denen Gliedmaßen nicht mehr voll beweglich sind, neurologisch verändert. Die Bewegung des beschädigten Gliedes wird neuroplastisch neu erlernt. Dieser Nachweis war zugleich eine Widerlegung der Reflextheorie der Bewegung. Er war ein Sieg der Neuroplastizität über den Behaviorismus.
Doch die Mehrheit der Neurologen, die sich zum Behaviorismus bekannte, ließ nicht locker. Sie verfolgte Taub sogar gerichtlich. Das erste Gericht wies 1981 mit Urteil 113 von 119 Anklagepunkten zurück. Die Berufungsinstanz sprach 1986 Taub von allen Anklagepunkten frei.
Das Beispiel mit dem verdrehten Knie zeigt, dass die wissenschaftliche Lösung mit Neuroplastizität gerichtlich erstritten werden musste.
Feldenkrais-Methode
Die Feldenkrais-Methode ist ein an Körperhaltungen ausgerichtetes Verfahren, das dem Lernen von Bewegungen zur Verbesserung der Lebensqualität dient. So kann die Feldenkrais-Methode Schulung oder Behandlung sein. Ziel ist es, durch organisches Lernen die körperliche Selbstwahrnehmung zu stärken und die Verbindung zum eigenen Körper mit einem neuen Bewusstsein zu erfüllen.
In der Feldenkrais-Methode werden zur Schulung der Selbstwahrnehmung eingesetzt:
- Kinästhetik, die Lehre von den Bewegungsempfindungen, gehört in die Erfahrungswissenschaften. Sie wird in der Medizin, Psychosomatik, Verhaltenskybernetik und den Neurowissenschaften erforscht.
- Propriozeption, die Wahrnehmung des eigenen Körpers, soll das Bewegungsgefühl verbessern oder Schmerzen lindern.
Techniken der Schulung sind:
- Bewusstheit durch Bewegung ist eine Technik des Lernens von Gewohnheiten, die das Bewegungsbild verbessern. Sie ist eine Individualtechnik, die langsam zu erlernen ist. Jede Absicht, Bewegungen fehlerfrei zu lernen, initiiert eine schädliche Eile. Jede Konzentration beschränkt die Wahrnehmung des Umfeldes und ist ein Störfaktor beim Lernen. Deshalb ist Entspannung die richtige Art, die das Lernen der Bewusstheit durch Bewegung begleitet, und zugleich „Quelle angenehmer Empfindungen“.
- Funktionale Integration ist eine non-verbale Technik der Berührung. Wenn die Selbstleitung der Bewegung gestört ist, kann durch Berührung die Bewegungsfunktion in den Bewegungsablauf integriert werden. Die Berührung trifft auf ein interessiertes Nervensystem, das den Lernprozess der neuen, die Störung überwindende Bewegung in Gang setzt und hält. Der Lernprozess der funktionalen Integration strebt die Selbstleitung der störungsfreien Bewegung an.
Organisches Lernen als Lernmethode
Organisches Lernen ist zentral für die Feldenkrais-Methode. Es ist eine Lernmethode, die wie ein Organ, nämlich unbewusst, funktioniert.
„Organisches Lernen beginnt im Mutterschoß und geht weiter, solange der Mensch physisch wächst.“ (ebda., S. 57) „Organisches Lernen ist individuell und geht ohne einen Lehrer vor sich, … Es dauert so lange, wie der Lernende beim Lernen bleibt. Dieses organische Lernen ist langsam und kümmert sich nicht um die Bewertung etwaiger Ergebnisse als gut oder schlecht. Es hat keinen erkennbaren Zweck, kein Ziel. Es wird einzig von dem Gefühl der Befriedigung gelenkt…“ (ebda., S. 59)
Das organische Lernen entfaltet seine Wirksamkeit erst, wenn es mit der Wirklichkeit verbunden wird und Erfahrungen auswerten kann. Wirklichkeit ist nach Feldenkrais Leben, und Leben ist Bewegung. Durch Bewegung schafft das organische Lernen Verbesserungen, die auch Heilungen oder Linderungen sein können. Sie werden verbal mit der Bewusstheit durch Bewegung und non-verbal durch die Funktionale Integration ausgelöst. Trotz guter Ergebnisse bleibt das organische Lernen eine Lernmethode und wird nicht zur Therapie.
Feldenkrais und Neuroplastizität
Feldenkrais und Neuroplastizität weisen Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Ergänzungen auf.
Gemeinsamkeiten von Feldenkrais und Neuroplastizität
Gemeinsamkeiten von Feldenkrais und Neuroplastizität sind methodischer Art.
Die Feldenkrais-Methode ist Lernen, das vom organischen Lernen geprägt ist. Das organische Lernen ist ein freudiges flow-Erlebnis, das sich durch Bewegung ausdrückt. Es kann lebenslang dauern, jedoch dauert es mindestens so lange, wie „der Lernende beim Lernen bleibt.“
Neuroplastisches Lernen ist eine Methode, mit der das Gehirn umbaufähig gehalten wird. Es ist ebenfalls lebenslang möglich.
Damit unterscheidet sich die Feldenkrais-Methode nicht vom Lernen mit Neuroplastizität.
Unterschiede zwischen Feldenkrais und Neuroplastizität
Die Unterschiede zwischen Feldenkrais und Neuroplastizität betreffen das Lernen an sich.
Das organische Lernen kommt im Gegensatz zum Lernen mit Neuroplastizität bei der Feldenkrais-Methode ohne Lehrer aus. Es ist mit einem schulischen Lehrbetrieb nur bedingt zu vergleichen. Es ist lebhaft und lebendig, aber im Gegensatz zum Schulalltag sprunghafter, unregelmäßiger und weniger ernst (ebd., S. 64).
Zwar ist organisches Lernen auch mit einem Lehrer möglich; doch die Lernstruktur kann dysfunktional werden, sobald sie Lernziele höher als den Lernprozess bewertet. Lernender kann bei der Funktionalen Integration auch der Lehrer sein, der durch Berührung des Lernenden neue Erfahrungen im organischen Lernen sammelt. Bei dem Lernen mit Neuroplastizität kommt ein Austausch von Lehrer und Lernenden nicht zustande.
Die Unterschiede zwischen Feldenkrais-Methode und Neuroplastizität grenzen beide Lernmethoden voneinander ab. Sie hindern aber Ergänzungen nicht.
Ergänzungen der Neuroplastizität durch Feldenkrais
Ergänzungen der Neuroplastizität durch Feldenkrais sind am Beispiel des neuroplastischen Paradoxons zu sehen.
Das neuroplastische Paradoxon ist, so paradox es klingt, eine Folge vom Üben von Lerninhalten. Es ist nämlich unerheblich, ob aus dem Üben gute oder schlechte Gewohnheiten entstehen. Feldenkrais hat das Üben untersucht, um das neuroplastische Paradoxon aufzulösen.
Gerade das zielstrebig wiederholte Üben, das im Gehirn neuroplastische Wege und Areale bildet, verursacht „Geläufigkeit“. Es lässt Fehler zu blinder Gewohnheit, zum neuroplastischen Paradoxon, werden. Zwar wird die damit verbundene Dysfunktion bemerkt, aber sie ist nicht zu beheben. Das „Was“ an der verfahrenen Situation findet nämlich kein „Wie“ zu seiner Berichtigung.
Die Auflösung dieser misslichen Situation, also des neuroplastischen Paradoxons, ist die Entwicklung eigener persönlicher Verhaltensweisen, die das einst Richtige am Verhalten überwinden. Vorbilder, die solche Lösungen gefunden haben, sind von Feldenkrais als Beispiele namentlich genannte Musiker, Schriftsteller, Dichter, Wissenschaftler oder Philosophen (ebda., S. 61 f).
Ergänzungen zur Neuroplastizität werden am Beispiel vom neuroplastischen Paradoxon sichtbar. Feldenkrais zeigt, dass Vorbilder schlechte Gewohnheiten verdrängen können. Das neuroplastische Paradoxon wird außer Kraft gesetzt. Mit diesem Ergebnis ergänzt Feldenkrais die Neuroplastizität.
Lernen mit Feldenkrais und Lernen mit Neuroplastizität
Das Lernen mit Feldenkrais und das Lernen mit Neuroplastizität sind zwei Lernmethoden auf unterschiedlichen Fundamenten. Im Zentrum des Lernens mit Feldenkrais steht die Bewusstheit durch Bewegung, im Zentrum des Lernens mit Neuroplastizität die Umbaufähigkeit des Gehirns.
Bedeutung von „Bewusstheit durch Bewegung“ für Feldenkrais
Die Bedeutung von „Bewusstheit durch Bewegung“ als Technik beim organischen Lernen erkannte Feldenkrais erst im späteren Verlauf seines Lehrens. Er separierte die Bewusstheit durch Bewegung aus der Funktionalen Integration.
Anlass für diese Separation war die Beobachtung, dass eine einzige unpassende Bewegung den Fluss der sonst gleichen Bewegungen verändert hatte. Die Selbstlenkung der gleichen Bewegungen hatte sich durch den Ausreißer als unvollkommen erwiesen. Diese Lücke in der Selbstlenkung schloss Feldenkrais mit der Separation von der Bewusstheit durch Bewegung.
Damit war das Lernen mit Feldenkrais zu einer durchgängigen Lernmethode geworden, die eine Wiederentdeckung der selbstverständlichen Bewegungsmuster zulässt. Die Bewusstheit durch Bewegung ermöglicht ein Umlernen gestörter Bewegungen. Ihre Bedeutung liegt darin, dass organisches Lernen eine Lernmethode bleibt, auch wenn es Züge einer Therapie trägt.
Bedeutung der Umbaufähigkeit für die Neuroplastizität
Die Bedeutung der Umbaufähigkeit des Gehirns ist für die Neuroplastizität als Lernmethode die wichtigste Eigenschaft. Die neue atemberaubende Erkenntnis ist, dass sie ein Leben lang anhalten kann.
Allerdings sind ständig Maßnahmen zum Erhalten der Umbaufähigkeit zu ergreifen; sonst verkümmert sie. Nur solche Maßnahmen sind geeignet, die das Gehirn auf verschiedenen Ebenen anspruchsvoll herausfordern. Freude am Lernen, Neugier auf neues Wissen und die Bereitschaft zu verstärkenden Wiederholungen setzen sie voraus. Mit ihnen sind Routinen zu vermeiden, die eine Umbaufähigkeit des Gehirns einschränken; denn mit einer eingeschränkten Umbaufähigkeit des Gehirns verliert die Neuroplastizität als Lernmethode an Bedeutung.
Call-to-Action
Zur weiteren Lektüre werden die Blog-Beiträge
- „Quiet Quitting – Well Being (2) – Act Your Wage – Schöne neue Welt“
- „Leistungsgedanke und seine Rückkehr (2)“
- „Lernen – mit Neuroplastizität (1)“
- „Lernen – mit Überlebenslernen (3)“
- „Lernen – im Arbeitsleben (4)“
empfohlen.
Fazit
Das Lernen mit Feldenkrais ist eine Lernmethode, die den Charakteristiken vom allgemeinen Lernen folgt. Es ist lebenslang möglich.
Das Lernen mit Neuroplastizität beruht auf der neurologischen Erkenntnis, die das Gehirn als lebenslang umbaufähig beschreibt. Die damit verbundene Stabilität kann sich bei schlechten Angewohnheiten als neuroplastisches Paradoxon ausweisen. Geeignete Maßnahmen garantieren das Lernen mit Neuroplastizität, die mit dem flow-Erlebnis verbunden sein können.
Das Lernen mit Feldenkrais geht auf Moshé Feldenkrais zurück, der die Feldenkrais-Methode als Bauingenieur und Judolehrer entwickelt hat. Ihre Grundlage ist das organische Lernen ohne Lehrer, erkennbaren Zweck oder Ziel. Es wird einzig vom Gefühl der Befriedigung gelenkt. Das Lernen mit Feldenkrais setzt die Techniken „Bewusstheit durch Bewegung“ und „Funktionale Integration“ ein.
Das Lernen mit Feldenkrais ist eine Ergänzung zum Lernen mit Neuroplastizität.
Fortsetzung am 24.06.24 mit „Lernen – mit Überlebenslernen (3)“