Der Fachkräftemangel nimmt in vielen Branchen zu, in einigen verhindert er sogar wegen Immobilitätder Kandidaten ein sinnvolles Recruiting. Das Internet ermöglicht einen unübersehbaren schnellen Datentransfer und damit auch den von Bewerbungsunterlagen. Aus beiden Entwicklungen hat sich „passives Suchen“ entwickelt, bei dem Bewerber ihre Werdegänge selbst ins Netz stellen. Aufspürende Recruiter verarbeiten deren personenbezogene Daten, die des Schutzes und der Verhinderung von Diskriminierung bedürfen.
Daraus entsteht eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die des Schutzes und der Verhinderung von Diskriminierung bedarf. Das Thema Passives Suchen und Datenschutz gewinnt also immer mehr an Bedeutung.
Einleitung
Passives Suchen gilt als neue Suchmethode des Recruiting, mit dem weitere Kreise von Bewerbern erschlossen werden sollen. Es ist eine Form der Direktansprache von Leuten, die ihre Bewerbungsunterlagen in Recruitingplattformen eingestellt haben, auch wenn sie nicht direkt auf Suche sind. Ihnen wird unterstellt, dass sie passiv suchen. Da sie eine interessante Zielgruppe sein können, lohnt es sich, sie ausfindig zu machen.
„Passives Suchen“ ist ein Verwirrung stiftender Begriff:
- erstens ist „passives Suchen“ die passive Aktivität der Bewerber; sie selbst sprechen niemanden an, weil sie sich passiv verhalten,
- zweitens ist „passives Suchen“ die aktive Aktivität der Recruiter, die passiv zu Suchende ausfindig machen sollen,
- drittens ist „passives Suchen“ eine Methode der Direktansprache beim Recruiting,
- viertens ist ungeklärt, ob die passiv zu Suchenden passive Täter oder aktive Opfer sind.
Da ihre Werdegänge im Internet zugänglich sind, können sie per Algorithmus ermittelt werden. Damit verbindet sich das Problem, wie es um den Datenschutz und das Diskriminierungsverbot steht. Die Einwilligung zum Gefunden werden und die automatische Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sowie die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sind die Schwachstellen des passiven Suchens.
Sprachverwirrung
„Passives Suchen“ hat sich als Fachterminus in das Feld der Personalberatung eingeschlichen. Anders als beim Begriff Personalberater, der kein Personal berät, ist die Sprachverwirrung nicht einmal politisch oder rechtlich begründet. Weil das Monopol für Personalvermittlung in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts beim Arbeitsamt lag, durften private Recruiter ausschließlich Führungskräfte suchen und nicht unter der Bezeichnung Vermittler, sondern nur als Berater der suchenden Firmen tätig werden.
Definition
Passiv Suchende werden Bewerber genannt, die sich nicht aktiv um eine neue Arbeitsstelle bemühen, sondern ihren Werdegang lediglich in Bewerberplattformen eingestellt haben. Diese Einstellung ins Internet ist eine Aktivität; ob die Unterlagen gesucht oder gefunden werden, liegt nicht mehr in der Hand der Bewerber. Gesucht oder gefunden werden, ist nur eine Folge dieser Aktivität. Insofern verhalten sie sich trotzdem passiv.
Welche Absicht mit der Einstellung von Bewerbungsunterlagen ins Internet verbunden ist, kann ebenfalls nicht eindeutig geklärt werden. Sie können sowohl das Gesuchtwerden als auch das Gefunden werden einschließen. Die Wirkung beider Passivformen umfasst den unbedingten Willen des Bewerbers, aktives Opfer der Tätigkeit des Recruiters zu sein.
Sprachverwirrung
Schwächer ist dem Passiv gegenüber die sprachlich mediale Form des sich suchen oder des sich finden Lassens. Lockerer ist die auf dem Medialen basierende Absicht, auf Ansprache zu warten oder sich bitten zu lassen. Die Ansprachen durch die Recruiter werden von den passiv Suchenden nicht herbeigesehnt oder dringend erwartet.
Weitergesponnen lässt sich aus dem sprachlichen Passiv oder Medium des passiven Suchens der absichtliche Zweck ableiten. Der passiv Suchende wird zu einem aktiven Strategen, der den Recruiter zu einem direkten Jobangebot herausfordern oder mit Extrakonditionen kommen lassen will.
Folgen
Die durch den Begriff passives Suchen ausgelöste Sprachverwirrung ist nicht überzubewerten. Sie kann im späteren Kontakt zwischen Bewerber und Interessent entschärft werden. Doch bedeutet die Passivität des Suchens nicht, dass die Einwilligung zum Gefunden werden unnötig ist und dass der Bewerber den Schutz vor Diskriminierung verliert.
Einwilligung gem. DSGVO
Passives Suchen betreibt zunächst der Bewerber, der seine Absicht bekannt gibt, nicht direkt auf der Suche nach einer neuen beruflichen Aufgabe zu sein, aber nichts dagegen hat, auf einen Positionswechsel angesprochen zu werden.
Entwicklung
Nach verschiedenen Umfragen sind 60 Prozent aller Arbeitnehmer gegenüber Ansprachen aufgeschlossen, die ihnen eine neue Stelle offerieren. Für ein lukratives Angebot sind sogar 40 Prozent zu einem beruflichen Wechsel bereit. Diese Prozentzahlen machen nicht jeden Arbeitnehmer zu einem potenziell passiv suchenden Bewerber, sondern beschreiben den gesellschaftlichen Wandel, der sich in der Einstellung zur Arbeit vollzogen hat. Das Arbeitsverhältnis hat die Bindung eines Gemeinschaftsverhältnisses eingebüßt, ist aber weiter ein Vertrag gegenseitiger Willenserklärungen auf der Grundlage von „Treu und Glauben“.
Rechtsgrundlagen
Deshalb wird der passiv suchende Bewerber als jemand definiert, der seinen Werdegang in eine auf Stellenvermittlung spezialisierte Internetplattform eingestellt hat. Seit Gültigkeit der DSGVO ist für die Verarbeitung personenbezogener Daten die Einwilligung des Betroffenen erforderlich. Sie muss in vielen Fällen ausdrücklich, also gesondert und nicht konkludent erfolgen.
Grundsätzlich bestimmt Art. 4 Ziff. 11 DSGVO die Einwilligung als die „Einwilligung der betroffenen Person jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffenen Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist;…“.
Dazu ergänzt Art. 5 Ziff. 1a DSGVO: „Personenbezogene Daten müssen auf rechtmäßige Weise, nach Treu und Glauben und in einer für die betroffene Person nachvollziehbaren Weise verarbeitet werden.“
Interpretation
Passiv suchende Bewerber veröffentlichen ihre Unterlagen auf Internetplattformen, behalten aber das Bestimmungsrecht darüber, welche Daten sie preisgeben wollen. Deshalb darf jeder Recruiter davon ausgehen, dass die rechtlich verbindliche Einwilligung des passiv Suchenden vorliegt, wenn er auf dessen Information zugreift und dass der passiv Suchende mit der Datenverarbeitung durch einen ihm unbekannten Recruiter einverstanden ist.
Die Einwilligung ist eine rechtliche Voraussetzung, sagt aber nichts über die Qualität der Bewerbungsunterlagen aus. Die enthaltenen Informationen sind häufig nicht aktuell, nicht vollständig oder nicht korrekt. Nicht jeder passiv Suchende meldet sich, wenn er über die Plattform kontaktiert wird.
Profiling gem. DSGVO
Die passive Suche umfasst fachterminologisch auch die Recruiter, die passiv suchende Bewerber ausfindig machen. Dazu durchforsten sie die sozialen Medien, bauen Kontakte auf und wenden sich nicht nur an Festangestellte, sondern auch an freie Mitarbeiter, Einzelselbstständige oder Freiberufler.
Firmeninterne Suche
Zu einer interessanten Suchmethode hat sich die passive Suche insbesondere für Firmen entwickelt, die unter dem Fachkräftemangel leiden oder auf enge Personalmärkte angewiesen sind. Sie wurde im Laufe der Zeit verfeinert und hat die Suche per Anzeige teilweise abgelöst. Die Entwicklung hat organisatorisch dazu geführt, dass große Unternehmen mit der passiven Suche nicht mehr Personalberatungen beauftragen, sondern eigene Searchabteilungen aufgebaut haben, auch um die Kosten des passiven Suchens zu senken.
Suchpraxis
Wichtigster Ort für die Recruiter, die passiv suchende Bewerber ausfindig machen sollen, sind nach wie vor die entsprechenden Internetplattformen. Sie können leicht, schnell, zielgerecht algorithmisch und Kosten günstig durchsucht und analysiert werden.
Nähe zum Profiling
Deshalb ist auch das Profiling nicht weit, also „jede Art der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, die darin besteht, dass diese personenbezogenen Daten verwendet werden, um bestimmte persönliche Aspekte, die sich auf eine natürliche Person beziehen, zu bewerten, insbesondere um Aspekte bezüglich der Arbeitsleistung, …, Gesundheit, persönliche Vorlieben, Interessen, Zuverlässigkeit, Verhalten … dieser natürlichen Person zu analysieren…“ (Art 4 Ziff. 5 DSGVO).
Verboten ist das Profiling gem. Art 22 Abs. 1 DSGVO, sofern es nicht „mit ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Person erfolgt.“ (Art 22 Abs. 2c DSGVO)
Rechtsfolgen
Die Bewerbungsunterlagen, auf einer Plattform veröffentlicht, sind die informativste Informationsquelle für Recruiter. Sie laden quasi zum Profiling ein. Die geforderte ausdrückliche Einwilligung des Bewerbers liegt in der Regel nicht vor, weil dazu eine gesonderte Erklärung notwendig ist. Leider sind die Möglichkeiten eingeschränkt, den Recruitern verbotenes Profiling nachzuweisen; denn die passiv suchenden Bewerber tragen die Beweislast. Die das passive Suchen nutzenden Firmen sind gut beraten, den Datenschutz der Bewerber zu garantieren; denn Rechtsverstöße gegen den Datenschutz untergraben das Vertrauen in einen künftigen Arbeitgeber.
Diskriminierungsverbot gem. § 7 AGG
Das Diskriminierungsverbot ist die rechtliche Verlängerung des Datenschutzes für den passiv suchenden Bewerber.
Gleichbehandlung
Nicht nur seine Daten sind geschützt; der Bewerber darf auch nicht „aus Gründen der Rasse, oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder sexuellen Identität“ behindert werden (§1 AGG). Das Verbot der Diskriminierung betrifft die Beschäftigten (§ 7 AGG), denen „die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis“ gem. § 6 Abs. 2 AGG gleichgestellt sind (siehe auch Blog „Altersdiskriminierung von Bewerbern„).
Beweislast
Wichtig vor allem ist diese Vorschrift für die passiv suchenden Bewerber, weil sie algorithmisch aufgespürt werden können; denn ein Algorithmus kann so gebaut sein, dass er Bewerbergruppen entgegen § 1 AGG unzulässig von der Suche ausschließt. Auch hier liegt die Beweislast eines Verstoßes beim Bewerber. Dieser Nachteil wird inzwischen dadurch gemindert, dass der Search nach passiv suchenden Bewerbern allein wegen des Fachkräftemangels deutlich zugenommen hat; denn kein Unternehmen wird seinem Wettbewerber eine spezielle Fachkraft überlassen, die er durch Verstöße gegen das AGG oder die DSGVO rekrutiert hat.
Call-to-action
Weitere Informationen zum Thema dieses Blogs enthält der Beraterbrief „SEO-Personalberatung – eine Mogelpackung?“ (April 2019, www.kettembeil.de)
Fazit
Der Begriff des passiven Suchens hat sich im Recruiting als Fachterminus festgesetzt. Er bezeichnet sowohl die Veröffentlichung von Werdegängen der Bewerber, die nicht zwingend auf der Suche nach einer neuen Position sind, als auch das Auffinden von passiv suchenden Bewerbern durch spezielle Recruiter. Er stiftet sprachlich und inhaltlich Verwirrung, weil er das Passive nicht erklärt.
Der Bewerber hofft, dass er gesucht und gefunden wird. Er erwartet ein lukratives Jobangebot. Er ist gar nicht passiv, sondern strategisch aktiv, sofern er einem Mangelberuf angehört oder seine passive Suche als Verhandlungsvorteil nutzen will.
Natürlich stehen die vom Bewerber aktiv veröffentlichten Unterlagen unter dem Datenschutz und dem Diskriminierungsverbot. Dennoch können diese Rechte von Recruitern verletzt werden, wenn sie bei der Suche verbotenes Profiling oder Algorithmen einsetzen, die der Gleichbehandlung widersprechen.
Die Nachweise sind schwer zu erbringen. Aber der Druck, der vom Mangel an Fachkräften und vom Wettbewerb bei der Besetzung ausgeht, wird keinen unrechtmäßigen Vorteil dulden. Zudem ist ein Arbeitgeber nicht vertrauenswürdig, der beim Recruiting rechtswidrige Mittel einsetzt.
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