Das Plädoyer für eine seriöse Personalberatung ist nicht nur von Zeit zu Zeit notwendig, sondern es ist geradezu im Umfeld der vom Coronavirus ausgelösten Krise geboten. Schon vorher waren die Sitten verfallen und von Ehrenkodex keine Spur; doch die Krise wird alle Branchen aufmischen und die Gewichte neu verteilen. Das gilt auch für die Personalberatungen, von denen nicht alle überleben werden. So ist nicht sicher, dass nur die seriösen übrig bleiben; denn das Coronavirus hat weder Verstand noch Moral.
Seriöse Personalberatung
Ein Plädoyer für eine seriöse Personalberatung setzt sich zwar für das hohe Gut der Seriosität ein, das dem Ansehen dieser Dienstleistung nützt; aber es findet nur dann ausreichend Gehör, wenn seine Mahnungen einsichtig, bergründet und befolgbar sind.
Überblick
Die Seriosität stand neben der Qualifikation der Berater seit Zulassung der ersten Personalberatungen im Blickpunkt des Interesses, aber auch des Argwohns. Deshalb überwachte die Bundesanstalt für Arbeit, die über das Monopol der Arbeitskräftevermittlung verfügte, mit Argusaugen die Tätigkeit der ungeliebten Konkurrenz im Arbeitsmarkt der Führungskräfte.
Bundesanstalt für Arbeit
Die Erfolglosigkeit der Bundesanstalt für Arbeit bei der Vermittlung von Führungskräften im mittleren Management und bei der Besetzung von Geschäftsführungen hatte die Zulassung der Personalberatung erst ermöglicht. Obwohl deren Tätigkeit eine Vermittlung ist, durfte sie nicht so genannt werden. Auch das Vorbild des amerikanischen Headhunters sollte nicht auf deutsche Verhältnisse übertragen werden. Insbesondere durfte das Monopol für Arbeitsvermittlung nicht aus der Hand gegeben werden. Zu dessen Sicherung erhielt die Bundesanstalt für Arbeit die Aufsicht über die Personalberatungen.
Beratung statt Vermittlung
Die neue Tätigkeit erhielt den überraschenden Namen Personalberatung, obwohl sie Personal, nämlich Führungskräfte an Unternehmen vermittelte und nicht etwa beriet. Sie sollte zwar beraten, aber nur die Firmen als ihre Auftraggeber. Dadurch sollte verhindert werden, dass die Personalberater wie ihre Vorbilder in den USA Jagd auf „Köpfe“ machen und sie an Unternehmen ihrer Wahl „verkaufen“ durften.
Deutsche statt amerikanischer Beratung
Die Personalberatung hatte dem deutschen Modell einer Beratung zu genügen. Bezahlt wurde die Beratungsleistung unabhängig vom Erfolg, wie bei Rechtsanwälten oder Ärzten üblich, zu festen, vorher vertraglich vereinbarten Sätzen. Erfolgshonorare waren verboten und wurden unnachgiebig mit gerichtlicher Hilfe geahndet. Die Herausgabe des Erfolgshonorars und eine Strafe in derselben Höhe waren nicht selten die Rechtsfolgen der Verstöße.
Weniger erfolgreich vor deutschen Gerichten war die Bundesanstalt für Arbeit mit ihren Versuchen, variable, erfolgsabhängige Teile der Honorare zu verbieten. Die Rechtsprechung erkannte die Personalberatung nicht als eigenständiges Rechtsinstitut an, sondern subsumierte sie unter den erfolgsabhängigen Maklervertrag. Variable oder erfolgsabhängige Honorare blieben zwar unzulässig, aber in Verbindung mit überwiegend festen Beträgen marktgerecht vereinbar. Der variable Teil durfte zugunsten des Auftraggebers entfallen, wenn der Berater keine Besetzung zustande bekam.
Vorbild Rechtsanwalt
Für die Personalberater der ersten Stunde war das Berufsbild des Rechtsanwalts in der Öffentlichkeit das Vorbild, an dem sich eine seriöse Personalberatung orientieren sollte. Sie gaben sich einen strengen Ehrenkodex und schränkten den Beraterkreis auf ehemalige Vorstände oder Geschäftsführer und allenfalls Personalleiter ein.
Ehrenkodex für Rechtsanwälte
Doch der Ehrenkodex für Rechtsanwälte existiert gar nicht. Er ist auch heftig umstritten. Die Befürworter sehen dessen Notwendigkeit sehr wohl durch aktuelle Vorfälle und Sünden aus der Vergangenheit begründet.
So fuhren während der Anwaltsschwemme in vielen deutschen Städten Rechtsanwälte als Taxifahrer, weil ihre Kanzleien nicht auskömmlich waren. Aus dieser Zeit stammt auch der Spruch: „Heute bekommt man für jede noch so abwegige Rechtsansicht einen klagewilligen Rechtsanwalt.“ Mandate wurden nicht mehr wegen Erfolglosigkeit, Mutwilligkeit oder Sittenwidrigkeit abgelehnt; denn das Mandat war zum Geschäft geworden und hatte sich seitdem in Bereichen wie der Abschiebung von Flüchtlingen sogar zur Industrie entwickelt.
Die Gegner befürchten trotz dieser Entwicklung, dass ein Ehrenkodex zu rechtlich durchsetzbaren Ansprüchen gegen Rechtsanwälte führen könnte. Sie halten deshalb die Grundpflichten gem. § 43a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) für ausreichend.
Anwaltliche Grundpflichten
Folgende Grundpflichten sind jedem Rechtsanwalt gem. § 43a BRAO gesetzlich auferlegt:
- die berufliche Unabhängigkeit nicht zu gefährden
- Verschwiegenheit zu gewährleisten
- berufliche Sachlichkeit einzuhalten
- keine widerstreitenden Interessen zu vertreten
- Sorgfalt im Umgang mit anvertrauten Vermögenswerten zu wahren
- sich fortzubilden.
Diese Grundpflichten bilden zwar keinen Ehrenkodex, aber eine Basis, auf der anwaltlich seriöses Handeln aufgebaut werden kann. Deshalb eignen sie sich auch zur Grundlage für eine seriöse Personalberatung.
Nachbildung Personalberatung
Die seriöse Personalberatung hat häufig Versuche unternommen, das Vorbild des rechtsanwaltlichen Standesrechts für eigene Zwecke nachzubilden. Doch es fehlte ihr an der gesetzlichen Grundlage, mit der sie einen Ehrenkodex hätte durchsetzten können.
Konzepte für einen Ehrenkodex
An Konzepten für einen Ehrenkodex hat es der seriösen Personalberatung nie gefehlt. Sie waren von den Gründern der Szene entworfen worden. Seither sind sie Bestandteile der Satzungen von Verbänden der Personalberater oder Unternehmensberater. Einzelne Bekenntnisse zur Seriosität finden sich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einzelner Beratungsgesellschaften. Hin und wieder unternehmen große Personalberatungen den Vorstoß, das Berufsbild des seriösen zertifizierten Personalberaters zu etablieren, und bieten entsprechende Ausbildungen und Schulungen an.
Akzeptanz für einen Ehrenkodex
Eine allgemeine Akzeptanz für einen Ehrenkodex war allerdings bis heute nicht zu erreichen; denn die seriöse Personalberatung, wie die Personalberatung insgesamt, ist keine Einheit. Sie besteht aus Einzelberatern, Partnerschaften oder großen Beratungsgesellschaften bis hin zu internationalen Organisationen. Vor der Coronavirus-Krise wurde die Zahl aller in Deutschland tätigen Personalberater und Personalvermittler auf 7.500 geschätzt. Sollte die Zahl durch den Einfluss des Coronavirus wie nach der Finanzkrise wieder auf unter 3.000 sinken, wird sie ungeachtet der Größenunterschiede für die Einigung auf einen gemeinsamen Ehrenkodex immer noch zu hoch sein.
Der größte gemeinsame Nenner für einen Ehrenkodex
Der größte gemeinsame Nenner zur Akzeptanz für einen Ehrenkodex einer seriösen Personalberatung wurde durch eine Verständigung auf Beratungsgrundsätze erzielt, die zwischen dem Bund Deutscher Unternehmensberater (BDU), dem Bund deutscher Volks- und Betriebswirte (bdvb), dem Verband der KMU-Berater und der Association of Management Consulting Firms (AMCF) vereinbart wurde. Angenähert an die gesetzlichen Grundpflichten für Rechtsanwälte, schreibt sie folgende Verpflichtungen vor:
- Unabhängigkeit von Dritten
- Objektivität der Beratung
- Kompetenz zur erfolgreichen Beratung
- Verschwiegenheit
- Vermeidung von Interessenkollisionen
- Weiterbildung
Im Ergebnis ist die seriöse Personalberatung ihrem Vorbild Rechtsanwalt erfolgt, wenn auch die branchenabdeckende Akzeptanz für einen Ehrenkodex nicht erreicht worden ist; denn es fehlt an einer Durchsetzung gewährenden Rechtsgrundlage.
Regulierung der Personalberatung
Die Regulierung der Personalberatung war die Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit. Sie überwachte, dass sich die Personalberatung auf Führungskräfte konzentrierte und die Grenze zur unzulässigen Personalvermittlung nicht überschritt. So sicherte sie ihr Monopol der Arbeitsvermittlung ab. Sie verfolgte zwar unnachsichtig die nach deutschem Recht verbotenen Erfolgshonorare für Berater, war aber sonst an ethischen Grundsätzen für eine seriöse Personalberatung nicht interessiert. Eine Aufsicht als Kammer, wie sie für Rechtsanwälte vorgeschrieben ist, sprengte den Rahmen ihres Verständnisses von Regulierung der Personalberatung.
Deregulierung der Personalberatung
Die Deregulierung der Personalberatung setzte spät ein.
Personalvermittlung
Das der Bundesanstalt für Arbeit übertragene Monopol für Arbeitsvermittlung galt in der Europäischen Union lange Zeit als deutscher Sonderweg. Zwar war die Personalberatung für Führungskräfte zulässig; doch erst im Jahre 1994 wurde die private Personalvermittlung erlaubt.
Private Arbeitsvermittlung
Im Januar 1998 wurde die private Arbeitsvermittlung zugelassen und in den §§ 291 SGB (Sozialgesetzbuch) III geregelt. Die Bundesanstalt für Arbeit wurde in die Bundesagentur für Arbeit umgewandelt. Am 28. März 2002 wurde die Erlaubnispflicht für private Arbeitsvermittler vollständig aufgehoben. Doch seit dem 1. Januar 2013 benötigt ein privater Arbeitsvermittler wieder eine Zulassung, wenn er einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein bei der Agentur für Arbeit einlösen will. Zudem muss er sich in regelmäßigen Abständen von einer unabhängigen, fachkundigen Stelle prüfen und zertifizieren lassen.
Personalberatung
Die Deregulierung der Personalberatung setzte mit der Zulässigkeit der Personalvermittlung ein, wurde mit der Zulassung der privaten Arbeitsvermittlung erweitert und im Jahre 2002 mit der Aufhebung der Erlaubnispflicht vollendet. Seitdem gibt es für die Personalberatung kein Korrektiv mehr, wie es die Anwaltskammern für die Rechtsanwälte sind.
Zusammenfassung des Überblicks
Der Überblick beschreibt den langen Weg der Personalberatung zur seriösen Personalberatung. Er führt von ihrer Duldung durch die Bundesanstalt für Arbeit über die vom Europäischen Gerichtshof erzwungene Zulassung privater Personalvermittlung bis zu deren Deregulierung. Er ist zugleich die Geschichte wechselnder Standesvorschriften und
Ehrenkodexe, die alle unverbindlich geblieben sind. Die auf dem neuesten Stand befindlichen Grundsätze des BDU beziehen auch die Datenschutzgesetze ein.
Feinde der serösen Personalberatung
Die Feinde der seriösen Personalberatung sind im Wesentlichen die Folgen der Deregulierung. Sie zeichnen sich vor allem durch das Fehlen von Verpflichtungen aus und beweisen damit, dass ein notwendiges Korrektiv fehlt.
Standesrecht
Mit der Deregulierung der Personalberatung und der Personalvermittlung, die von der rot-grünen Bundesregierung 2002 veranlasst wurde, wurde die Einführung eines Standesrechts nach dem Vorbild für Rechtsanwälte versäumt. Seitdem fehlen Standesgrundsätze, die gerade für die Betreuung der Kandidaten wichtig wären. Der Satz „Wo kein Kläger, da kein Richter“ erhält eine weitere Perspektive; es gibt nämlich gar keinen Richter, bei dem die Seriosität der Personalberatung eingeklagt werden könnte.
Ehrenkodex
Mangels einer dem § 43a BRAO ähnlichen Vorschrift für Personalberatungen ist ein Ehrenkodex gesetzlich nicht durchsetzbar. Er ist in Formulierung und Befolgung auf die Freiwilligkeit der Personalberatungen angewiesen. Ihm liegt das „Prinzip Hoffnung“ (Ernst Bloch) zugrunde, das auf die „unsichtbare Hand“ (Adam Smith) setzt, die unbewusst die seriöse Personalberatung fördert.
Zulassung
Eine Pflicht zur Zulassung, wie sie für Rechtsanwälte und inzwischen für Arbeitsvermittler vorgeschrieben ist, besteht für Personalberater nicht. Sie brauchen sich auch nicht regelmäßigen Qualitätsprüfungen zu unterziehen. Die Eintrittsbarriere in den Markt für Personalberatungen ist also denkbar niedrig.
Das darauf beruhende niedrige Niveau braucht sich auch in der täglichen Praxis nicht unbedingt zu ändern und macht deshalb der seriösen Personalberatung zu schaffen. Michael O´Leary, CEO von Ryanair, beschreibt es so: „Jeder Idiot, der irgendwo rausgeschmissen wird, taucht wieder als Berater auf. Ich habe bislang noch jeden erschossen, der in mein Büro gekommen ist.“
Ergebnis
Die Liste der Feinde der seriösen Personalberatung ließe sich beliebig fortsetzen. Zu denken ist nur an die zahlreichen Verstöße gegen Verpflichtungen, wie sie in den unverbindlichen Ehrenkodexen formuliert sind. Beispiele sind solche Honorare, die Doppelzahlungen aus sich widersprechenden Aufträgen wie aus Beschaffungsverträgen zur Personalberatung und aus inversem Headhunting sind (siehe auch Beraterbrief „Inverse Headhunter – Nothelfer oder Provisionshyänen“, September 2018, www.kettembeil.de und Blog-Beitrag „Schwarze Schafe unter den Beratern“).
Fall aus der Praxis
Die Grundlage der seriösen Personalberatung ist ausschließlich das private Selbstbekenntnis und nicht die gesetzliche Vorschrift zur Seriosität. Dadurch verliert sie nicht an Wert; denn natürlich befürworten theoretisch alle Personalberater eine seriöse Personalberatung aus freien Stücken; aber die Praxis sieht anders aus, wie der Fall aus der Praxis noch kurz vor der Krise des Coronavirus lehrt.
Sachverhalt
So ereignete sich der Fall im Einzelnen.
1. Start bei einer lokalen Firma
Mit der Suche nach seinem Nachfolger beauftragte der Inhaber einer lokalen Firma seinen langjährigen Verkaufsleiter, der aus persönlichen Gründen vorzeitig in Rente gehen wollte. Dieser bat einen ihm bekannten Personalberater zu sich, um mit ihm den Recruiting-Auftrag zu besprechen.
2. Stellenprofil
Schwerpunkt des Termins war die Erörterung des Stellenprofils, das auf die lokalen Bedürfnisse der Firma ausgerichtet war. Insbesondere sollte der Nachfolger in die Region und zu der Kundschaft aus dem lokalen Mittelstand passen.
3. Vorvereinbarung
Mündlich wurde vorvereinbart, dass der Personalberater schon einmal „die Augen offen“ halte. Ein schriftlicher Personalberatungsvertrag werde geschlossen, wenn das Austrittsdatum des Verkaufsleiters fixiert sei.
4. Zwischenspiel bei einem nationalen Unternehmen
Ein national tätiges Unternehmen stellte im Zuge einer Umstrukturierung alle Bereiche und Führungspositionen auf den Prüfstand. Dabei wurde der nationale Verkaufsdirektor ausgemustert, weil er seine Vorgaben nicht erfüllt hatte.
5. Inverses Headhunting
Der nationale Verkaufsdirektor bat noch während seiner Kündigungsfrist einen Headhunter um Hilfe. Dieser schlug ihm ein inverses Headhunting vor, also dass er gegen Bezahlung gezielt für ihn nach einer neuen Stelle suchen werde.
6. Ansprache der lokalen Firma
Da in einer Branche selten etwas geheim bleibt, hatte der Personalberater von der Vakanz bei der lokalen Firma erfahren. Er wusste zudem, dass die Besetzung noch in der Schwebe war und ein Vorgespräch zwischen dem Verkaufsleiter und einem Personalberater stattgefunden hatte. Deshalb wandte er sich unter Umgehung von Inhaber und Verkaufsleiter direkt an den Geschäftsführer der lokalen Firma, um ihm den nationalen Verkaufsdirektor zu präsentieren und bei Einstellung ein Erfolgshonorar zu kassieren. Dessen Höhe bezifferte er deutlich unter der des Vollauftrages, die der Personalberater bei schriftlichem Abschluss seiner Vereinbarung erhalten würde.
7. Präsentation des nationalen Verkaufsleiters
Bei der Präsentation thematisierte der inverse Headhunter, der nun gleichzeitig auch der zweite Personalberater der lokalen Firma war, weder die Unkenntnis des Verkaufsdirektors im lokalen Verkaufsgeschäft, noch wies er auf den ausgeprägten, nicht in die Region passenden Dialekt des Kandidaten hin. Auch dessen Unerfahrenheit im Umgang mit mittelständischen Kunden spielte er herunter, obwohl er nur Verhandlungen mit „Schlipsträgern“ nationaler Unternehmen, nicht aber mittelständischer Inhaber gewohnt war. Ebenso wenig wurden die Gründe für den Stellenwechsel hinterfragt. Zudem war die lokale Firma nicht nur deutlich kleiner als das nationale Unternehmen, sondern auch die Aufgabengebiete waren miteinander nur schwer vergleichbar.
8. Anstellung des nationalen Verkaufsleiters
Mit der Begründung, der nationale Verkaufsdirektor sei ein aufgeschlossener Charakter, schlug der Geschäftsführer dem Verleger den Kandidaten zur Anstellung als Nachfolger des Verkaufsleiters vor.
Im Übrigen sei das Erfolgshonorar des Headhunters deutlich niedriger als ein Honorar für einen Vollauftrag. Die vom Verkaufsleiter bemängelten Schwächen des Kandidaten wies der Geschäftsführer mit dem Vorschlag zurück, sie sollten vom Verkaufsleiter während der Einarbeitungszeit beseitigt werden. Der Bewerber wurde eingestellt; der Headhunter erhielt zwei Honorare, der Personalberater ging leer aus.
Interpretation
Die Interpretation des Sachverhalts betrifft folgende Themen:
Grundlagen der Personalberatung
Nachfolgeregelung: Die Vergabe der Nachfolgeregelung vom Verleger an den Verkaufsleiter ist nicht unumstritten (siehe Beraterbriefe „Soll der Vorgänger seinen Nachfolger (mit) aussuchen?“, Februar 1998 und „Nicht Schmitt, sondern Schmittchen“, Dezember 2008 auf www.kettembeil.de). Sie war aber rechtsgültig erteilt.
Stellenprofil: Das vom Verkaufsleiter ausgearbeitete Stellenprofil ist eine Voraussetzung für die Besetzung. Es nicht zu berücksichtigen, fällt zwar in erster Linie in die Verantwortung von Verleger und Geschäftsführer, ist aber auch auf einen Mangel an objektiver Beratung durch den Headhunter zurückzuführen; denn die lokale Firma benötigt zur Entscheidung für ihre langfristige Besetzung der Nachfolge eine Auswahl an Bewerbern und nicht nur einen einzigen Kandidaten. Damit verstößt der Headhunter gegen seine Grundpflicht zur Objektivität.
Interessenkonflikt Stellenprofil: Der Headhunter will gemäß seinem Auftrag zum inversen Headhunting nur dem nationalen Verkaufsdirektor die Anstellung verschaffen. Er ist deshalb an der Einhaltung des Stellenprofils nicht interessiert. Damit nimmt er nicht nur unseriös den Interessenkonflikt aus seinen beiden Aufträgen in Kauf, sondern löst ihn auch unter Verstoß gegen den Personalberatungsvertrag zugunsten des inversen Headhuntings.
Ablauf des inversen Headhuntings
Inverses Headhunting: Gegen die Annahme des Auftrages zum inversen Headhunting ist nichts einzuwenden. Sie war nämlich vom Headhunter vor dem Suchauftrag mit der lokalen Firma erfolgt.
Ansprache der lokalen Firma: Die Ansprache der lokalen Firma geht in Ordnung, da sie eine Methode des inversen Headhuntings ist.
Ansprache des Geschäftsführers: Die Ansprache des Geschäftsführers ist eine hinterhältige Umgehung des zuständigen Verkaufsleiters und damit unseriös.
Unseriöser Suchauftrag
Suchauftrag: Der Suchauftrag mit dem Headhunter verstößt gegen die Interessen aus dem inversen Headhunting und daher gegen die Grundpflicht zur Vermeidung einer Interessenkollision.
Erfolgsbasis: Ein Vertrag auf Erfolgsbasis ist nicht unbedingt unseriös; aber in diesem Fall dient er der unseriösen Aushebelung der Vorvereinbarung mit dem Personalberater.
Niedrigpreis: Der Niedrigpreis ist in Verbindung mit der Erfolgsbasis eine unseriöse Preisunterbietung.
Präsentation des Kandidaten: DiePräsentation eines nationalen Verkaufsdirektors ist eine unseriöse Täuschung über die im Stellenprofil vorgesehenen Qualifikationen. Sie wird auch nicht durch die Anweisung an den Verkaufsleiter geheilt, er soll dem Verkaufsdirektor die zur Ausfüllung der Aufgabe fehlenden Kenntnisse während der Einarbeitung beibringen.
Ergebnis des Sachverhaltes
Zwei Honorare: Die Einvernahme der beiden Honorare durch den Headhunter ist unseriös.
Vorvereinbarung: Die Anstellung des nationalen Verkaufsdirektors ist ein Verstoß gegen die Vorvereinbarung durch die lokale Firma. Daran ist der unseriöse Headhunter nicht unbeteiligt.
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Der Fall aus der Praxis zeigt deutlich den Unterschied von Theorie und Praxis. Die Bestrebungen um einen Ehrenkodex für eine seriöse Personalberatung bilden die Theorie, der Fall zeigt die Praxis. Natürlich sind die serösen Personalberater in der Überzahl. Im vorliegenden Fall war der unseriöse Headhunter Angestellter einer als seriös geltenden Personalberatung.
Plädoyer statt Resümee
Das Plädoyer für eine seriöse Personalberatung an dieser Stelle ist die richtige Maßnahme gegenüber eines sonst üblichen Resümees; denn Vorschläge, private Vereinbarungen, etwa durch Mitgliedschaften, oder Ankündigungen in Geschäftsbedingungen zu einem Ehrenkodex für Personalberatungen gibt es in ausreichender Zahl. Eingehalten werden sie von den meisten Personalberatern. Aber sie sind nicht rechtsverbindlich und können nicht vor Gericht durchgesetzt werden.
Die unseriösen Personalberater sind zum Glück in der Minderzahl, und nicht alle müssen grundsätzlich unethisch sein. Wie der Fall aus der Praxis lehrt, scheint Gelegenheit Diebe zu machen. Eine seriöse Personalberatung wird plötzlich, vertreten durch einen unethischen Mitarbeiter, zur unseriösen Personalberatung. Nur in diesem Fall? Zweifel scheinen angebracht.
Wenn sich in Krisenzeiten – wie etwa beim Coronavirus – Aufträge an Personalberatungen verringern oder gar einbrechen, ist die seriöse Personalberatung gefordert. Mahnendes Vorbild ist die Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009, die viele Unternehmen auch aufgrund unseriöser Machenschaften in die Insolvenz schickte, Personalberatungen eingeschlossen.
Allerdings gewährt das Beispiel Finanzkrise auch Hoffnung; als sie vorbei war, stiegen die Aufträge sprunghaft an. Die Zahl der Personalberatungen erreichte ihren Höchststand, allerdings nicht nur die der serösen. Die Krise des Coronavirus kann also Herausforderung und Mahnung zugleich für und an die seriöse Personalberatung sein.
Call-to-Action
Zur ergänzenden Lektüre werden die Beraterbriefe „Inverse Headhunter – Provisionshyänen oder Nothelfer“, September 2018, „Soll der Vorgänger seinen Nachfolger (mit) aussuchen?“, Februar 1998, „Nicht Schmitt, sondern Schmittchen, Dezember 2008 auf www.kettembeil.de, und der Beitrag „Schwarze Schafe unter den Beratern“ empfohlen.
Fazit
Das Plädoyer für eine seriöse Personalberatung ist immer erforderlich; aber in den Stunden vor Krisen ist es besonders angebracht. Es hätte vor der Finanzkrise 2008/2009 gehalten werden müssen, so wie es jetzt dringend gebraucht wird.
An einem Ehrenkodex für eine seriöse Personalberatung waren die Personalberater der ersten Stunde bereits interessiert. Sie nahmen sich das Standesrecht der Rechtsanwälte zum Vorbild. Die Bundesanstalt für Arbeit, die über die Einhaltung gewisser Regeln wie des Verbots der Erfolgshonorierung wachte und deren Verstöße gerichtlich verfolgte, nahm nie den Status einer Standesorganisation an. Zudem fehlte es an gesetzlichen Vorschriften als Grundlage für einen Ehrenkodex oder für eine Aufzählung an Grundpflichten für Personalberater. Mit der Deregulierung sind alle standesähnlichen Vorschriften entfallen. Ein Korrektiv ist nicht installiert; es wird durch private Bekenntnisse zur seriösen Personalberatung ersetzt.
Wenn auch die Mehrzahl der Personalberater ethischen Bekundungen folgt, schert sich eine Minderheit nicht an der Einhaltung seriöser Gepflogenheiten. Wie schnell eine Personalberatung von seriös auf unseriös umschalten kann, lehrt der Fall aus der Praxis. Deshalb ist es stets und nicht nur vor, während und nach Krisenzeiten dringend angebracht: das Plädoyer für eine seriöse Personalberatung.
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