Ein Plagiat ist kein Kavaliersdelikt; denn es ist der Diebstahl geistigen Eigentums. Diese Erkenntnis ist dem Wandel der Zeit unterworfen, obwohl die einschlägigen Gesetze weiterhin gelten. Doch im vorgerichtlichen Raum sind Schwankungen nicht ausgeschlossen – besonders, wenn Plagiate in der Wissenschaft im Mittelpunkt des Interesses stehen. Aus aktuellen Anlässen untersucht dieser Beitrag solchePlagiate, also ausdrücklich nicht die Produktpiraterie. Seitdem die Plagiatsjagd zum erfolgreichen Beruf mutiert ist, hat sie viele Plagiatoren zur Strecke gebracht. Dennoch suchen interessierte Kreise die Erkenntnis auszuhebeln: Ein Plagiat ist kein Kavaliersdelikt.
Plagiat – Begriff, Geschichte und Arten
Zum besseren Verständnis eines Plagiats seien einige Ausführungen zu Begriff, Geschichte und Arten vorangestellt.
Plagiat – Begriff
Die Definition des Begriffes „Plagiat“ ist notwendig, weil es sich bereits bei der Bezeichnung „Plagiat“ nicht um einen Rechtsbegriff handelt. Deshalb beschreibt „Plagiat“ jede Aneignung fremden Gedankenguts. Dabei ist es nicht von Interesse, ob sie gesetzlich verboten ist.
Geschichtlich rührt das Plagiat aus einem Rechtstreit im alten Rom her. Der Bestohlene nannte den Dieb seiner Gedanken einen plagiarius, eigentlich einen Seelenverkäufer, besser aber einen Menschenräuber; denn er hatte seine Veröffentlichungen mit freigelassenen Sklaven, also Menschen, verglichen.
Plagiat in der Geschichte
Das Plagiat hat in der Geschichte verschieden Wandlungen durchgemacht. Zu einigen Zeiten waren Plagiate strafbar; zu anderen Zeiten waren sie nicht mit Sanktionen oder Ansprüchen der Bestohlenen verbunden. Im Barock scheinen sie sogar üblich gewesen zu sein. Jedenfalls haben Bestohlene gegen diese Diebstähle kaum etwas unternommen. Wenn die Plagiate für eine größere Verbreitung des gestohlenen Eigentums sorgten, fühlten sich die Urheber sogar geehrt.
Plagiat in der Gegenwart
In der Gegenwart ist ein Plagiat kein verpönt. Zwar sind in Deutschland gegenwärtig nicht alle Plagiate rechtswidrig oder führen zu rechtlichen Konsequenzen; aber dennoch widersprechen sie dem Rechtsempfinden, das Plagiate als unrechtmäßig wahrnimmt. So ist auch in diesem Sinn ein Plagiat kein Kavaliersdelikt.
Plagiat – Arten
Über die Arten von Plagiaten besteht keine Einigkeit. Doch fünf Plagiate werden im Wesentlichen unterschieden.
Vollplagiat: Das Vollplagiat ist die vollständige Abschreibung eines fremden Textes.
Teilplagiat: Das Teilplagiat besteht aus einzelnen vom Urheber übernommenen Sätzen. Ein Problem für die Bewertung wissenschaftlicher Arbeiten ist die Summation von Teilplagiaten. Sie entscheidet über die Quantität der Eigenleistung des Plagiators an seiner Arbeit. Wenn sogar Textstücke verschiedener Urheber in Teilplagiaten wiedergegeben werden, entsteht eine plagiatorische Vermischung, die oft nur schwer enttarnt werden kann.
Verbalplagiat: Das Verbalplagiat übernimmt einzelne Formulierungen vom Urheber.
Ideenplagiat: Das Ideenplagiat formuliert die Ideen des Urhebers um, indem es mit einem eigenen Sprachgebrauch sowie Satzbau die Vorlage wiedergibt.
Selbstplagiat: Das Selbstplagiat ist ein Sich-Selbst-Bestehlen des Autors. Es ist urheberrechtlich umstritten, weil es nur bei mittelbarer Verwertung vorkommt. Wissenschaftlich ist es sehr speziell, weil es nur in besonderen universitären Situationen problematisch werden kann. Ansonsten ist es ohne Bedeutung.
Plagiat und Rechtsgrundlagen
Rechtsgrundlagen gegen ein Plagiat sind im Urheberrecht, im Universitätsrecht einschl. der Prüfungsordnungen, im Strafrecht und im Arbeitsrecht vorhanden. Plagiate in der Grauzone von Legalität und Legitimität werden in diesem Artikel nicht erörtert. Das gilt auch für solche Plagiate, deren Gegenstände später gemeinfrei geworden sind.
In diesem Beitrag stehen hauptsächlich die urheberrechtlichen Plagiate im Mittelpunkt. Deshalb werden Plagiate von Patenten, Geschmacksmustern oder Marken ebenfalls nicht behandelt.
Erste Rechtsgrundlage – Urheberrecht
Die erste Rechtsgrundlage zum Schutz des Urhebers vor Plagiaten ist das Urheberrecht. Es ist als Urheberpersönlichkeitsrecht gem. §§ 12 ff UrhG (Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte) ausgestaltetet. Es sichert dem Urheber mit § 15 ff UrhG die Verwertungsrechte.
Urheberrechtliche Folgen eines Plagiats
Die urheberrechtlichen Folgen eines Plagiats ergeben sich aus dem Schutz der Werke des Urhebers ( § 1 UrhG ). Die geschützten Werke werden in § 2 Abs. 1 UrhG abschließend aufgezählt. Danach sind Werke „persönliche geistige Schöpfungen“ ( § 2 Abs. 2 UrhG ). Dasselbe gilt auch für Bearbeitungen geschützter Texte ( § 3 UrhG ).
Verwaiste und gemeinfreie Werke
Keinen Schutz genießen verwaiste nach § 61 UrhG und gemeinfrei gewordenen Werke.
Gemeinfrei sind Werke, deren Schutz abgelaufen ist oder deren Schutz nie bestanden hat. „Das Urheberrecht erlischt siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers“ ( § 64 UrhG ). Für einfache Leistungsschutzrechte bestehen sonderrechtlich kürzere Schutzfristen. Bei Datenbankherstellern beträgt die Schutzfrist 15 Jahre gem. § 87d UrhG, bei Lichtbildern 50 Jahre gem. § 72 Abs. 3 UrhG. „Amtliche Werke“ gem. § 5 UrhG genießen keinen Schutz des Urheberrechts.
Paraphrasierung in der Wissenschaft
In der Wissenschaft ist die sachliche Wiedergabe eines geschützten Textes, im Fachjargon Paraphrasierung genannt, ein Plagiat, sofern dessen Herkunft nicht angegeben ist. Andererseits ist für die Wissenschaft das Zitierprivileg gem. § 51 UrhG eine urheberrechtliche Erleichterung. Es wird durch die Pflicht zur Quellenangabe gem. § 63 UrhG ergänzt.
Grenzen des Schutzes von Ideen
Die Grenzen des Schutzes von Ideen durch das Urheberrecht legen fest, dass nicht alle Ideen eines Urhebers einen urheberrechtlichen Schutz genießen; sondern nur die in geschützten Werken veröffentlichten Gedanken sind betroffen.
Ohne diese Grenzen ist ein Urheberschutz unmöglich, weil er nicht überschaubar ist. Die grenzenlose Fülle schützenswerter Ideen würde eine entsprechende Zahl an Plagiaten provozieren, die praktisch nicht verfolgt werden kann. In der Literatur ist anders als in der Wissenschaft die Paraphrasierung von geschützten Werken kein Plagiat.
Zivilrechtliche Folgen eines Plagiats
Die zivilrechtlichen Folgen eines Plagiats sind im Abschnitt 2 Rechtsverletzungen Unterabschnitt 1 Bürgerlich-rechtliche Vorschriften; Rechtsweg gem. §§ 97 ff UrhG geregelt.
Sie umfassen die Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz sowie deren Durchsetzung. Sie bestimmen das Verfahren der Abmahnung und lassen gem. § 103 UrhG einen Anspruch auf Veröffentlichung eines Urteils auf Kosten der unterlegenen Partei zu. Außerdem legen sie den Rechtsweg und den Gerichtsstand fest.
Strafrechtliche Folgen eines Plagiats
Die strafrechtlichen Folgen eines Plagiats sind im Unterabschnitt 2 Straf- und Bußgeldvorschriften gem. §§ 106 ff UrhG geregelt. Die dort spezialisierten Tatbestände sind Antragsdelikte, sofern kein öffentliches Interesse vorliegt ( §109 UrhG ). Allerdings kann die Bekanntgabe der Verurteilung des Plagiators verlangt werden ( § 111 UrhG ).
Zweite Rechtsgrundlage – Universitätsrecht
Die zweite Rechtsgrundlage zur Bekämpfung von Plagiaten ist das Universitätsrecht. Sie ist erforderlich, damit Forschung und Lehre nicht von Plagiatoren beschädigt werden. Das Universitätsrecht besteht aus dem Verwaltungsrecht, den Prüfungsordnungen und den Arbeitsverträgen. Je nach Status des Plagiators gelten unterschiedliche Regeln.
Einige Bundesländer haben ihre Hochschulgesetze verschärft, um zügiger und wirkungsvoller gegen Plagiatoren vorgehen zu können; denn die Plagiate im Hochschulbereich haben deutlich zugenommen Die modernen Techniken der Informationsbeschaffung und Vervielfältigung haben nämlich den Respekt vor fremder Leistung schwinden lassen.
Prüfungsordnungen
So sehen Prüfungsordnungen abgestufte Sanktionen je nach Schwere des Plagiats und nach Vorliegen einer Täuschungsabsicht vor. Plagiierende Studenten können sogar exmatrikuliert werden.
Die Aberkennung von Diplomen und Doktorgraden ist eine mögliche Strafmaßnahme bei Plagiaten. Bußgelder können schwindelnde Höhen erklimmen.
Universitäre Arbeitsverträge
Universitäre Arbeitsverträge des Wissenschaftspersonals oder Lehrpersonals sowie Verträge mit freien wissenschaftlichen Mitarbeitern sind wegen Plagiaten kündbar.
Die Kündigung wegen Plagiaten kann auch außerordentlich sein.
Dritte Rechtsgrundlage – Strafrecht
In Frage kommen die Tatbestände des Betruges gem. § 263 StGB sowie der falschen uneidlichen Aussage und Meineid gem. §§ 153 ff StGB. Die Aussage-Vorschriften treffen zu, wenn der Plagiator etwa bei Abgabe einer Prüfungsarbeit die Eigenständigkeit der Leistung schriftlich versichert hat.
Obwohl das UrhG eigene Strafvorschriften kennt, kann ein Plagiat auch nach dem allgemeinen Strafgesetzbuch (StGB) geahndet werden.
Vierte Rechtsgrundlage – Arbeitsrecht
Die vierte Rechtsgrundlage zum Schutz vor Plagiaten ist das Arbeitsrecht.
Doktorgrade im Arbeitsrecht
Doktorgrade können im Arbeitsrecht von unterschiedlichem Gewicht sein. Deshalb führt ein wegen Plagiaten entzogener Doktorgrad zu verschiedenen arbeitsrechtlichen Konsequenzen, wie die folgenden vier Fälle belegen.
Fall eins: Bedeutung des Doktorgrades für den Arbeitsplatz
Wenn ein Arbeitsplatz einen Doktorgrad verlangt, kann der Stelleninhaber bei Entziehung seines Doktorgrades wegen Plagiats entlassen werden. Dasselbe gilt auch für die Fälle, in den ein Doktorgrad nur nützlich, aber nicht zwingend vorgeschrieben ist.
Fall zwei: Bedeutung des Doktorgrades für die Öffentlichkeit
Verlangt die Position die Vertretung des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit und ein gewandtes Auftreten, kann ein Doktorgrad des Unternehmensvertreters das gewünschte Auftreten unterstützen. Fällt nun der Doktorgrad wegen Plagiats nachträglich weg, ist zwar vordergründig der Betroffene der Geschädigte. Doch auch das Unternehmen hat einen Rückschlag im Renommee zu verzeichnen. Eine Trennung von Firma und Arbeitnehmer wird die Folge sein.
Fall drei: Bedeutung des Doktorgrades im Bewerbungsverfahren
Ein dritter Fall betrifft das Bewerbungsverfahren. Mehrere gleichwertige Persönlichkeiten haben sich um dieselbe Stelle beworben. Ausgewählt wird der Bewerber, der als einziger über einen Doktorgrad verfügt. Die Entziehung des Doktorgrades wegen Plagiats lässt den Vorteil dieses Bewerbers nachträglich fortfallen. Die arbeitsrechtliche Konsequenz kann dessen Entlassung sein.
Fall vier: Doktorgrad ohne Bezug zur Arbeit
Wenn der Doktorgrad allerdings keinen Bezug zur Position hat, ist der Entzug des Doktorgrades wegen Plagiats arbeitsrechtlich unschädlich. Das gilt auch, sofern der Doktorgrad dem Arbeitnehmer im Unternehmen keinen Vorteil verschafft. Die Peinlichkeit des Entzuges verbleibt allein beim Doktor-Losen und hat keine weiteren Auswirkungen auf den Arbeitsplatz, so die ständige Rechtsprechung.
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Im Arbeitsrecht kann der Entzug des Doktorgrades wegen Plagiats das Arbeitsverhältnis beenden oder zumindest das Vertrauensverhältnis zu den Vorgesetzten empfindlich stören.
Ein Plagiat ist hier also kein Kavaliersdelikt.
Zusammenfassung zu den Rechtsgrundlagen
Ein Plagiat ist ein Diebstahl geistigen Eigentums. Das UrhG schützt nicht jeden Gedanken, sondern nur Werke; gemeinfreie und verwaiste Werke sind auch von dem Schutz ausgenommen. Zivilrechtlich können Plagiatoren auf Unterlassung oder Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Außerdem sind strafrechtliche Sanktionen möglich.
Besonderheiten gelten im Universitätsrecht. Da die Wissenschaft von der Entwicklung neuer Gedanken lebt, muss sie den Zugang zu ihnen und ihren Schutz desto sicherer gewährleisten. So gibt es einerseits Erleichterung für das Zitieren, andererseits drakonische Strafen wie die Aberkennung des Titels oder die außerordentliche Entlassung von Bediensteten.
Das allgemeine Strafrecht verfügt über weitere das UrhG übersteigende Straftatbestände. Sie sind Offizialdelikte wie der Betrug gem. § 263 StGB Offizialdelikte.
Im Arbeitsrecht treten Sanktionen bei der Aberkennung des Doktorgrades wegen Plagiats nur dann ein, wenn der Doktorgrad für das Arbeitsverhältnis von Bedeutung ist. Ein qualitativ anderes Plagiat liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer ein auf Ideendiebstahl basierendes Produkt entwickelt. In beiden Fällen kann es zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommen.
Plagiat – Folgen und Behandlung in der Politik
Die Folgen für plagiatorische Schriften in der Politik bedürfen einer eigenen Betrachtung; denn in der Politik sind abweichende Behandlungen nicht ausgeschlossen.
Folgen für plagiatorische Schriften in der Politik
Grundsätzlich sind die rechtlichen Folgen für plagiatorische Schriften in der Politik genau dieselben rechtlichen Folgen, die auch für andere plagiatorische Schriften gelten.
Rechtliche Folgen – Aberkennung des Doktorgrades wegen Plagiaten
Beruhen Doktorgrade auf vielen Plagiaten, ist die Aberkennung die Folge. Daran schließen sich zivilrechtliche und strafrechtliche Folgen an, die für jeden Doktorgrad dieselben sind.
Unterschiede treten im Arbeitsrecht bei plagiatorischen Dissertationen auf; denn die Folgen richten sich nach der Relevanz des Doktorgrades für das jeweilige Beschäftigungsverhältnis.
Nach dieser Spezifizierung gelten für die spezifizierten Doktorgrade jeweils dieselben Rechtsfolgen bei Plagiaten.
Politische Folgen – Verlust von Ämtern
Die politischen Folgen von Plagiaten sind der Verlust von Ämtern. Dazu gehören in erster Linie Funktionen in Ministerien, im Präsidium eines Parlaments, in Parlamentsausschüssen oder in Parlamentsfraktionen. Vorstandsaufgaben in den politischen Parteien zählen auch dazu. In der politischen Wissenschaft sind (Honorar-)Professuren und Lehraufträge solche Ämter; sie werden oft im Zusammenhang mit einer Beratertätigkeit für politische Organisationen oder Gremien erworben.
Bei den Ämtern, die wegen Plagiaten politisch verlorengehen, handelt es sich um Spitzenpositionen in der Berufspolitik sowie Funktionen in der politischen Forschung und Lehre.
Behandlung der plagiatorischen Schriften in der Politik
Die Behandlung der plagiatorischen Schriften, insbesondere von Dissertationen, wird von der Öffentlichkeit genauer beobachtet, seit die Plagiatsjäger ihre Suchprogramme deutlich verbessert haben.
Doktorgrade in der Politik als Beruf
Die Behandlung der Doktorgrade in der Politik als Beruf bedarf der Erwähnung, weil die Doktorgrade in den Berufen unterschiedliche Bedeutung haben. So war der Arzt-Beruf lange wie selbstverständlich mit dem Doktorgrad verbunden. Die Anrede „Herr Doktor!“ war auch dann üblich, wenn der Angesprochene nicht über diesen Titel verfügte.
Wird die Politik als Beruf betrieben, ist dieser Beruf an ethische Anforderungen geknüpft. Der Soziologe Max Weber unterstellt ihn in seinem Vortrag „Politik als Beruf“ der Gesinnungsethik und der Verantwortungsethik. Damit hebt er ihn auf ein Podest, auf dem der Doktorgrad dem Berufspolitiker zu erhöhtem Ansehen verhilft.
Ein plagiatorischer Doktorgrad in der Politik muss nach seiner Entziehung also weitere Folgen haben; denn unter dem berufsethischen Aspekt ist ein Plagiat erst recht kein Kavaliersdelikt.
Plagiatorische Schriften in der Politik 2011 bis 2016
Plagiatorische Schriften treten bei allen politischen Parteien auf, weil die Plagiatsjäger mit ihren neuen Methoden fündiger geworden sind. Für die Jahre 2011 bis 2016 werden Dissertationen betrachtet, bei denen der Doktorgrad trotz Plagiaten vergeben wurde.
Fallbeispiele zu plagiatorischen Dissertationen 2011 bis 2016
Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU)
wurde der Doktorgrad wegen Plagiaten und vorsätzlicher Täuschung von der Universität Bayreuth am 23. Februar 2011 entzogen. Ein Strafverfahren wegen Urheberrechtsverletzungen wurde gegen Zahlung einer Geldbuße von 20.000 Euro an eine gemeinnützige Organisation eingestellt.
Einen Rücktritt von seinem Amt als Bundesminister der Verteidigung hatte Guttenberg zunächst ausgeschlossen. Er hatte dabei die Unterstützung von Angela Merkel als Bundeskanzlerin und Bundesvorsitzender der CDU und Horst Seehofer als CSU-Vorsitzenden.
Auf Druck von SPD und führenden Politikern der CDU/CSU trat Guttenberg von allen politischen Ämtern und als Abgeordneter zurück. Strafrechtlich wurde er belangt.
Silvana Koch-Mehrin (FDP)
wurde am 15.Juni 2011 der Doktorgrad wegen Plagiaten von der Universität Heidelberg entzogen. Widerspruch, Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe und Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung blieben ohne Erfolg. Ein Strafverfahren unterblieb wegen Verjährung.
Bereits am 11. Mai 2011 war Koch-Mehrin vom Amt der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und diversen Parteiämtern zurückgetreten. Mitglied des Europäischen Parlament blieb sie bis zum Ende der Legislaturperiode.
Margarita Mathiopoulos (FDP)
von Willy Brandt 1987 als parteilose Sprecherin der SPD berufen, sah sich bereits 1989 durch „Der SPIEGEL“ Plagiatsvorwürfen in ihrer Dissertation ausgesetzt. Obwohl ein Gutachten der Universität Bonn die Vorwürfe zu bestätigen schien, verlor Mathiopoulos ihren Doktorgrad nicht.
Bei Mathiopoulos´ Eintritt in die FDP im Jahre 2002 griff die „Berliner Zeitung“ die von „Der Spiegel“ erhobenen Plagiatsvorwürfe auf. Auf Anraten des Gerichts zog Mathiopoulos ihre Klage gegen die Zeitung zurück.
Nach Vorlage weiterer Beweismittel durch einen Plagiatsjäger entzog die Universität Bonn am 18. April 2012 ihr den Doktorgrad wegen Plagiaten.
Das VG Köln bestätigte diese Entscheidung. Das Oberveraltungsgericht (OVG) Münster trat dem Urteil des VG Köln bei, ließ aber eine Revision an das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Leipzig zu. Zu klären sei, warum die Universität 1991 den Doktorgrad nicht, aber 2012 doch entzogen habe. Die Revision wurde vom BVerwG zurückgewiesen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH), Luxemburg erklärte am 04. Oktober 2018 eine Beschwerde gegen das Urteil des BVerwG für unzulässig.
Verschiedene Universtäten entzogen Mathiopoulos ihre Honorarprofessuren. Eine Rechtsverfolgung bis zum EuGH hatte ihr nichts genützt.
Annette Schavan (CDU)
bat 2012 die Universität Düsseldorf um Überprüfung ihrer Dissertation, nachdem ein Plagiatsjäger sie wegen Plagiaten aufgespießt hatte. Erst am 05. Februar 2013 entzog die Universität ihr den Doktorgrad. In die Entscheidungsfindung sei auch der Umstand eingegangen, dass Schavan nach Annullierung ihrer Promotion nicht mehr über einen Hochschulabschluss verfüge. Die Klage vor dem VG Düsseldorf hatte keinen Erfolg.
Die Universität Düsseldorf veröffentlichte nach Bekanntgabe ihrer Entscheidung eine Liste mit Namen von Persönlichkeiten, die auf das Verfahren Druck ausüben wollten. Der Bundestagspräsident Norbert Lammers, der einst für einen Rücktritt von Guttenberg optiert hatte, fand sich auch auf der Liste.
Am 08. Februar 2013 bot Schavan ihren Rücktritt als Bundesbildungsministerin an. Sie blieb aber im Bundestag bis zum Ende der Legislaturperiode. Mit der absoluten Mehrheit der Stimmen in ihrem Wahlkreis wurde sie sogar direkt in den folgenden Bundestag gewählt.
Auf Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde Schavan vom Bundeskabinett ab dem 07. Mai 2014 zur deutschen Botschafterin am Heiligenstuhl bestellt. Zuvor hatte der Personalrat angemerkt, dass Schavan nicht über den dazu erforderlichen Hochschulabschluss verfüge.
Schavan verlor zwar ihr Ministeramt, blieb aber Abgeordnete des Bundestages. Als Direktkandidatin ihres Wahlkreises wurde sie sogar mit absoluter Mehrheit wiedergewählt. Nach Pensionierung ihres Vorgängers wurde sie zur Botschafterin am Heiligen Stuhl bestellt, obwohl ihr der dazu erforderliche Akademikergrad fehlte.
Ursula von der Leyen (CDU)
bat 2015 die Medizinische Hochschule Hannover um Überprüfung ihrer Dissertation wegen Plagiaten. Am 09. März 2016 stufte die Universität die Dissertation zu 20% als fehlerhaft bei drei schweren Fehlern ein.
Eine Täuschungsabsicht habe es nicht gegeben. Von der Leyen dürfe ihren Doktorgrad behalten.
Die Entscheidung stieß bei den Leitmedien auf Unverständnis. Das Entscheidungsgremium sei befangen, das Verfahren undurchsichtig gewesen. Das Niveau der Dissertation sei niedrig, der nicht plagiatorische Teil der Arbeit unvollständig.
Da keine Täuschung vorlag, konnte von der Leyen ihren Doktorgrad behalten.
Beurteilung der plagiatorischen Dissertationen 2011 bis 2016
Allen aufgeführten plagiatorischen Dissertationen 2011 bis 2016 ist gemeinsam, dass sie von den Plagiatoren verbissen verteidigt wurden. Mathiopoulos zog sogar vor den EuGH. Außerdem waren alle Rechtsfolgen außerhalb des Universitätsrechts verjährt. Guttenberg, dessen Plagiate nicht verjährt waren, entging einer Bestrafung durch Zahlung eines Ordnungsgeldes.
Alle Plagiatoren, denen der Doktorgrad entzogen wurde, verloren ihre herausragenden Ämter. Die durch Wahl erworbenen Mandate waren von Rücktritten nicht betroffen, sie konnten sogar neu erworben werden. Eine Kompensation erhielt Schavan aufgrund ihrer guten Beziehung zur Bundeskanzlerin, obwohl sie für das Ersatzamt akademisch nicht mehr qualifiziert war.
Alle Doktorgrade wurden nach der Zahl der Plagiate bewertet. Von der Leyens Arbeit verfügte für eine Entziehung des Doktorgrades über zu wenige Plagiate, die außerdem von geringem Wert waren. Unklar ist die Unterbewertung der Plagiate und der Grund für das Fehlen einer Täuschungsabsicht. Ein Plagiat ist nämlich der vorsätzliche Diebstahl fremden geistigen Eigentums, mit dem der Plagiator sein geistiges Eigentum durch fehlende Quellenangabe vorgetäuscht.
Außer dem Verlust qualifizierter Ämter haben die wegen Plagiaten entzogenen Doktorgrade keine Folgen aus den geltenden Rechtsgrundlagen gezeitigt. Der Verlust der Ämter beweist zwar, dass ein Plagiat kein Kavaliersdelikt ist; aber in der Politik scheinen die Uhren anders zu gehen.
Plagiatorische Schriften 2021
Die plagiatorischen Schriften 2021 erfuhren in der Öffentlichkeit großes Interesse, weil in diesem Jahr die Wahl zum 20. Bundestag stattfand.
Fallbeispiele zu plagiatorischen Schriften 2021
Franziska Giffey (SPD)
bat 2019 die Freie Universität Berlin um die Überprüfung ihres Doktorgrades, nachdem sie in das Visier von Plagiatsjägern geraten war. Gutachter der Universität regten an, dass Giffey freiwillig auf Doktorgrad und Ministeramt verzichten solle; denn ihre Plagiate hätten ein negativeres Gewicht als die Plagiate einst von Schavan. Giffey beauftragte einen Rechtanwalt mit einem Gegengutachten. Es konstatierte Giffey, sich an die Vorgaben der Prüfungsordnung gehalten zu haben. Die Freie Universität erteilte daraufhin Giffey am 30. Oktober 2019 eine Rüge, ohne ihr den Doktorgrad zu entziehen.
Die Zusammensetzung der Prüfkommission und die erteilte Rüge erfuhren ein kritisches Echo. Der Regierende Bürgermeister von Berlin und zugleich Wissenschaftssenator Michael Müller (SPD) lehnte im August 2020 ein Eingreifen des Senats ab. Am 05. Oktober 2020 sprach sich der Studentenausschuss (ASTA) für eine Entziehung des Doktorgrades aus.
Schließlich setzten sich die Kritiker rechtlich durch und erzwangen eine zweite Prüfung. Nun fühlte sich sogar die Doktormutter von Giffey getäuscht. Der Doktorgrad wurde Giffey am 10. Juni 2021 wegen Plagiaten entzogen.
Bereits am 19. Mai 2021 war Giffey bereits als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zurückgetreten.
Auch die Masterarbeit Giffey wurde im August 2021 Opfer von Plagiatsjägern. Die Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin, die Nachfolgerin der einstigen Fachhochschule, lehnte eine Überprüfung wegen Verjährung ab.
Als Spitzenkandidatin der SPD wurde Giffey bei der Wahl zum 19. Abgeordnetenhaus von Berlin mit 40,8 Prozent der Erststimmen direkt gewählt. Mit 21,4 Prozent der Zeitstimmen erreichte die SPD ihr bislang schlechtestes Ergebnis, wurde aber stärkste Fraktion. Deshalb wurde Giffey mit Wahl am 21. Dezember 2021 zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt.
Giffey verlor ihr Ministeramt, blieb aber Akademikerin; denn die Attacke eines Plagiatsjägers auf ihren Magistergrad wurde wegen Verjährung zurückgewiesen. Nach Rücktritt aus dem Bundestag wurde sie direkt ins Berliner Abgeordnetenhaus und anschließend zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt.
Annalena Baerbock (Grüne)
hatte im Wahlkampf zum Bundestag 2021 zwar keine Dissertation vorgelegt. Als Kanzlerkandidatin der Grünen hatte sie aber unter ihrem Namen das Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern.“ erscheinen lassen. Im Laufe der Diskussion musste sie die ihr vorgehaltenen Plagiate an dem Buch einräumen und, dass sie es nicht allein geschrieben habe. Kurz vor Beginn der Koalitionsverhandlungen zur Koalition aus SPD, Grünen und FDP (Ampelkoalition) kaufte Baerbock die Restauflage auf und vernichtete sie.
Nach Bekanntwerden der Plagiate und Falschangaben in ihrem veröffentlichten Werdegang sowie der Annahme von Sonderzahlungen stürzte Baerbock als aussichtsreiche Kanzlerkandidatin der Grünen in der Wählergunst ab. Die Grünen erreichten ihr Wahlziel nicht. Sie lösten aber mit der Ampelkoalition die bisherige Regierung aus CDU/CSU und SPD ab. In der Ampelkoalition wurde Baerbock Bundesministerin des Äußeren. Die inzwischen zurückgezahlte Sonderzahlung blieb Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft.
Baerbock verlor aufgrund ihrer Plagiate in der Wählergunst den aussichtsreichen Spitzenplatz unter den Kanzlerkandidaten. Auch die Grünen büßten an Stimmen ein. In der Ampelkoalition wurde sie dennoch Außenministerin.
Beurteilung der plagiatorischen Schriften 2021
Bei den plagiatorischen Schriften 2021 handelt es sich um die Dissertation und die Masterarbeit von Giffey und ein Sachbuch von Baerbock.
Der Streit um Giffeys Dissertation dauerte zwei Jahre. Anlass für die Dauer waren auch das Fehlverhalten der Freien Universität, Berlin sowie die Behinderung durch den Regierenden Bürgermeister, ebenfalls SPD.
Am Ende verlor Giffey zwar Doktorgrad und Amt der Bundesministerin, handelte sich dafür aber die Position der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin ein. Mit dem Verlust des Ministeramtes erlitt sie das Schicksal aller anderen dargestellten politischen Plagiatoren. Mit der Wahl ins Berliner Abgeordnetenhaus ähnelt sie Schavan, die von ihren Wählern trotz fehlenden Doktorgrades wieder in den Bundestag gewählt wurde. Abweichend aber wurde Giffey über die Wahl ins Abgeordnetenhaus, Berlin hinaus zur Regierenden Bürgermeisterin bestellt. Die Wahl zur Bürgermeisterin folgte den oligarchischen Regeln in der Berliner Abgeordnetenversammlung ( siehe auch „Oligarchie im politischen Management / Spot Dezember 2021“ ). Danach treten die Abgeordneten als Oligarchen auf, ohne auf den demokratischen Willen ihrer Wähler Rücksicht zu nehmen. Die Entziehung des Doktorgrades wegen Plagiaten bedeutete für Giffey zwar den Verlust des Ministeriums im Bund; aber in Berlin wurde sie trotz dieser Entziehung Regierende Bürgermeisterin.
In Bundespartei und Bundestagsfraktion der Grünen hatten die Plagiate von Baerbock keine Auswirkungen. Baerbock hatte auch kein Ministeramt. Bei den Wählern aber verlor sie ihre deutlichen Aussichten auf das Amt der Bundeskanzlerin. Mit Unterstützung der Bundestagsfraktion gewann sie nach der Bundestagswahl dafür aber das Amt der Bundesaußenministerin. Die oligarchischen Strukturen im Bundestag hatten wie auch bei Giffey die oligarchischen Strukturen in Berlin an den Plagiaten nichts mehr auszusetzen.
Zusammenfassung der Behandlung der plagiatorischen Schriften in der Politik
Die Behandlung der plagiatorischen Schriften in der Politik befasst sich zunächst mit ausgewählten Fällen in den Jahren 2011 bis 2016. Es ist die Zeit, in der Plagiatsjäger mit besseren Methoden größere Erfolge erzielen.
Die Aberkennung der Doktorgrade ist das Ergebnis der Plagiatsjagd. Deren Folgen sind die Verluste politischer Ämter oder Professuren, aber die Abgeordnetenmandate bleiben erhalten. Bei guten persönlichen Beziehungen sind Kompensationen mit anderen politischen Ämtern nicht ausgeschlossen. Das gilt, selbst wenn die persönlichen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.
Für die Behandlung der plagiatorischen Schriften im Jahr 2021 gilt zwar nichts Abweichendes für den Verlust von Ministerämtern im Bund und den Erhalt von Abgeordnetenmandaten wie für die Jahre 2011 bis 2016. Die oligarchischen Strukturen im Bund wie im Land Berlin sorgen gleichermaßen für Ausgleiche. Baerbock wird Außenministerin und Giffey Regierende Bürgermeisterin.
In der parlamentarischen Demokratie ist das Plagiat kein Kavaliersdelikt; doch in den oligarchischen Strukturen der Parlamente kann das Plagiat zum Kavaliersdelikt werden.
Resümee zu Plagiat – Folgen und Behandlung in der Politik
Die Folgen für plagiatorische Schriften in der Politik und ihre Behandlung richten sich nach den Regeln der einschlägigen Rechtsgebiete. Die Besonderheiten ergeben sich bei der Einstufung der Politik als Beruf.
In den betrachteten Jahren sind die Sanktionen für plagiatorische Schriften die Aberkennung des Doktorgrades und der Verlust der Ämter geblieben. Die Kompensation der Verluste durch andere politische Ämter hat sich auf der oligarchischen Ebene in der deutschen Demokratie etabliert.
Im Ergebnis ist ein Plagiat in der Politik kein Kavaliersdelikt. Aber es verhindert andere politische Karrieren nicht.
Call-to-Action
Zur weiteren Lektüre werden der Blog-Beitrag „Copyright an Bewerbungsunterlagen“ und der Beraterbrief „Jetzt kuratieren sie schon“ (Februar 2012) auf www.kettembeil.de empfohlen.
Fazit
Das Plagiat ist der Diebstahl fremden geistigen Eigentums. Deshalb sind die Rechtsfolgen auf verschiedenen Rechtsgebieten einheitlich geregelt. Das Universitätsrecht sieht Verschärfungen in der Verfolgung von Plagiaten vor. Für Berufspolitiker in Spitzenämtern gelten eigene Standesregeln. Die Folgen plagiatorischer Schriften sind der Verlust von Positionen und Reputation: ein Plagiat ist kein Kavaliersdelikt. Doch die Politik verfügt auch über oligarchische Strukturen, die trotz Plagiats kompensatorisch andere politische Karrieren eröffnen.
Im Grunde ist unverständlich, warum die Entziehung eines Doktorgrades ein Ministeramt scheitern lässt, aber das Amt eines Landes-Ministerpräsidenten ermöglicht. Dieselbe Frage stellt sich für die Bestellung zum Außenminister nach einer plagiatorischen Veröffentlichung. Die Antworten geben die oligarchischen Strukturen in der deutschen Demokratie und das Wahlrecht zu den Parlamenten. Sie schließen nicht aus, dass Plagiate sogar einer politischen Karriere förderlich sind. Zwar gilt: Plagiat – kein Kavaliersdelikt; aber leider auch: keine Regel ohne Ausnahme.
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